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Manifest der psychiatrisch behandelten Menschen für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus Katalonien

18. September 2020|

Als Gruppe von psychiatrisch behandelter Menschen und/oder Menschen mit Erfahrung psychischen Leidens und psychosozialer Diversität stellen wir die Notwendigkeit der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf die Agenda: eine bedingungslose finanzielle Leistung, die in der Höhe dem Mindestlohn entspricht, bzw. über der Armutsgrenze liegt, die mit anderen Einkommensquellen vereinbar ist, die materiellen Voraussetzungen für ein würdiges Leben gewährleistet und allen die Ausübung der Bürgerrechte ermöglicht.

Seine Einführung ist eine dringende Notwendigkeit in einer Welt, in der wir überflüssige Arbeitskräfte sind für den Neoliberalismus und in der ein immer größerer Teil der Bevölkerung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Die Kommerzialisierung der Grundbedürfnisse, die Lebenshaltungskosten und die prekären Arbeitsverhältnisse haben uns allmählich in eine Situation gebracht, in der Erwerbsarbeit Menschen keine Garantie dafür bietet über der Armutsgrenze leben zu können.

Im gegenwärtigen Kontext, in dem die Folgen der Covid-19-Pandemie die sozioökonomische Situation noch verschlimmern und beschleunigen, sprechen wir uns für das Bedingungslose Grundeinkommen aus, weil es auch eine vorbeugende Maßnahme für „psychische Gesundheit” ist. Wie die WHO unterstreicht, gehören das durch Armut, prekäre Lebensbedingungen, wirtschaftliche Unsicherheit und Arbeitslosigkeit verursachte Leid zu den Hauptursachen für Erfahrungen, die als psychische Störungen, Suchtverhalten und Suizid diagnostiziert werden. Die Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen, unabhängig vom Erwerbsarbeitsmarkt, bietet eine Voraussetzung für die Verringerung emotionaler und sozialer Probleme, die hinter diesen Verhaltensweisen stehen.

In unserer Gesellschaft wird Leiden psychopathologisiert und medikalisiert und psychosoziales Unbehagen als psychiatrische Krankheit diagnostiziert. Die Art und Weise, wie die Institutionen auf die Auswirkungen des herrschenden sozioökonomischen Systems reagieren, führt zu weiterer Ausgrenzung. Mit der Diagnose geht ein Stigma einher. Und das verstärkt – als eine ihrer Auswirkungen – die Ursachen des Leidens. Menschen, bei denen eine schwere psychische Störung diagnostiziert wurde, sind die soziale Gruppe mit den höchsten Zahlen an Erwerbsarbeitslosigkeit und Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Drei von vier als solche eingestufte Personen sind erwerbslos. Die Diagnose einer psychischen Störung ist ein Hindernis, ein Grund für Diskriminierung, der sich negativ auf den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt auswirkt. Oder er wirkt wie eine Verurteilung zu wenig stimulierenden und befriedigenden Arbeiten, die das Leben in keiner Weise würdig machen. Gerade ein Bedingungloses Grundeinkommen würde es ermöglichen, diesen pathologisierenden Kreislauf der sozialen Ausgrenzung zu durchbrechen. Ein Kreislauf, in welchem die Lebensbedingungen Auswirkungen haben, auf die die Institutionen so reagieren, dass sie die Ausgrenzung verstetigen und noch verstärken.

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die Abschaffung der beitragsfreien Sozialleistungen ermöglichen. Diese führen derzeit zu prekären Lebensverhältnissen und sozialer Ausgrenzung, da ihre finanziellen Beträge nicht nur unterhalb der Armutsgrenze liegen, sondern nahe der Mittellosigkeit. In dieser Situation befindet sich ein hoher Prozentsatz der psychiatrisch behandelten Menschen, da 50% der diagnostizierten psychosozialen Probleme in der Kindheit und Jugend beginnen, und sogar 75% wenn wir das frühe Erwachsenenalter mit einbeziehen. Das heißt, die meisten von uns befinden sich in einer Situation, in der wir aufgrund unserer psychischen Gesundheit von der Gesellschaft als behindert eingestuft werden, bevor wir die notwendigen Sozialbeiträge geleistet haben (nämlich Krankenkasse, Rentenkasse, Pflegekasse, Arbeitslosenkasse) um Anspruch auf eine beitragsabhängige Leistung zu haben.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde es ermöglichen, aus dem Kreislauf der Behinderung auszubrechen. Erstens, weil es universell und bedingungslos ist. Das bedeutet, dass im Gegensatz zu beitragsfreien Leistungen und anderen Formen bedingter finanzieller Zuwendungen nicht vorausgesetzt wird, dass der Antragstellende beweist, dass seine/ihre soziale Stellung minderwertig ist, was eine weitere Quelle von Stigmatisierung und Selbststigmatisierung darstellt. Alle derzeitigen stigmatisierenden Zugangsvoraussetzungen, wie z. B. eine 65-prozentige Erwerbsminderung, um eine beitragsfreie Rente zu beantragen, würden wegfallen.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wäre schließlich auch ein grundlegendes Mittel zur Förderung von Genesungs- und Empowermentprozessen in unserer Gemeinschaft. Erstens, weil es nicht nur minimale Lebensbedingungen gewährleisten würde, sondern auch ein unabhängiges, von der Familie und/oder der Einrichtung autonomes Leben fördern würde. Derzeit führen materielle Unzulänglichkeiten zu Abhängigkeit und sind somit ein Hindernis für Autonomie, Selbstbestimmung, persönliches Wachstum und die Ausübung einer aktiven Bürgerschaft. Menschen, die nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, bleiben in paternalistischen Abhängigkeitsverhältnissen gefangen.

Und zweitens, weil eine bedingungslose Zuwendung dazu beitragen würde, dass viele Menschen sich trauen würden, wieder einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ohne Angst zu haben, die Leistung zu verlieren, die sie beziehen und von der sie für ihren Lebensunterhalt abhängig sind. Diese Situation hat derzeit perverse Auswirkungen und stellt ein Hindernis für die Eingliederung in den Erwerbsarbeitsmarkt und die Genesung dar.

Letztendlich würde ein BGE das Spektrum der Lebensmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen erweitern – gewünschte Teilzeitjobs, Arbeitsplätze in geschützten Umgebungen, Freiwilligenarbeit, Studium, berufliche Umschulung usw. –, indem es die Grundbedürfnisse ohne sozialen Druck oder Stigmatisierung deckt.

Da wir psychisch kranke Menschen keine Bürger zweiter Klasse sind, fordern wir: Bedingungsloses Grundeinkommen jetzt!

Übersetzung aus dem Katalanischen: Elfriede Harth, 23.7.2025

Quelle: https://www.activament.org/2020/manifest-persones-psiquiatritzades-renda-basica-universal/

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