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Programmbeschwerde beim ZDF

Am 15.3.24 hat das ZDF einen gut gemeinten, aber schlecht gemachten Bericht über die Verschärfung der Sanktionen im “Bürgergeld” veröffentlicht (hier). Unser Mitglied Eric hat daraufhin die unten stehende formale Programmbeschwerde eingereicht. Wer sich dieser anschließen (oder einen eigenen Text formulieren) möchte, kann den Text hier reinkopieren bzw. eingeben.

Nachtrag vom 5.4.24: Der Link in der Beschwerde zur Zeitverwendungserhebung von 2022 funktioniert nicht mehr, da die Daten dort fehlerhaft waren. Das Statistische Bundesamt hat hier die korrigierten Daten veröffentlicht.



Sehr geehrte Damen und Herren, auf der Seite (https://www.zdf.de/zdfunternehmen/fragen-an-das-zdf-106.html) heisst es: "Der Auftrag des ZDF lautet: Mit einem Vollprogramm aus Information, Bildung und Unterhaltung den Fernsehteilnehmern in Deutschland einen objektiven Überblick über das Weltgeschehen und insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit zu vermitteln." Mit Ihrem Beitrag https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/cdu-grundsicherung-buergergeld-sanktionen-100.html sind Sie dem in keiner Weise gerecht geworden. Sie verwenden hier, insbesondere im ersten Video, die Begriffe "Arbeit" und "arbeiten" konsequent ausschließlich in Bezug auf Erwerbsarbeit, also bezahlte Arbeit. In der deutschen Realität werden jedoch mehr 50% der geleisteten Arbeitsstunden nicht bezahlt, sie werden unentgeltlich erbracht, siehe die Zeitverwendungserhebungen von 2013 (https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2016/02/unbezahlte-arbeit-022016.htm) und von 2022 (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/Tabellen/erwerbsarbeit-unbezahlteArbeit-geschlecht-zve.html). Diese Arbeit ist gesellschaftlich notwendig und wird überwiegend von Frauen erbracht, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass sie in unserer männlich dominierten Gesellschaft weitgehend unsichtbar bleibt. Die Lesart der herrschenden Politik, dass Menschen, die keiner ERWERBSARBEIT nachgehen, also untätig oder faul seien, entspricht nicht den Tatsachen. In diesem Punkt haben Sie, das ZDF, die "deutsche Wirklichkeit" in keinster Weise wahrheitsgemäß dargestellt, Sie haben mehr als die Hälfte dieser Wirklichkeit unterschlagen. Darüber hinaus wäre es angemessen die Frage nach dem Sinn von Arbeit zu stellen. Es ist ebenfalls Fakt, dass ein Teil der Erwerbsarbeit der Gesellschaft (auch der Volkswirtschaft), den Menschen oder/und den natürlichen Lebensgrundlagen schadet. Beispiele sind die Arbeit in der Tabakindustrie oder in den Fossilen Industrien. Wenn Sie Ihren Auftrag erfüllen wollen, sollten Sie die Bevölkerung darüber aufklären, dass Erwerbsarbeit also gar nicht PER SE dem Gemeinwohl zuträglich ist. Denn daraus folgt, dass der Versuch, die Menschen auf Teufel komm raus in Erwerbsarbeit zu bringen, aus ethischer wie auch aus ökonomischer Sicht FRAGWÜRDIG ist. Außerdem halte ich es für geboten, deutlich zu kommunizieren, was die von der CDU geforderten und zum Teil auch schon in der geltenden Gesetzgebung durch die Ampelkoalition umgesetzte Sanktionsregelungen für die Betroffenen bedeuten: Nämlich dass sie für zwei Monate oder länger (bei erneuter Sanktionierung bzw. bei Umsetzung der CDU-Forderung) kein Geld zur Verfügung haben, um sich Nahrungsmittel zu kaufen. Das heisst, diese Menschen werden mit der Auslöschung ihrer Existenz bedroht. Und es gibt mindestens zwei Fälle von Menschen, die durch einen solchen Entzug ihrer Lebensgrundlage in Deutschland verhungert sind (https://www.stern.de/gesellschaft/tragoedie-zu-hause-verhungert--einfach-so-3364916.html oder https://www.welt.de/welt_print/article1671892/Arbeitsloser-verhungert-auf-Hochsitz-im-Wald.html). Es wäre zu diskutieren, wie das mit dem im Grundgesetz festgelegten Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 2 GG) und der Zuschreibung von Würde (Art 1 GG) zu vereinbaren ist. Im ersten Video spricht eine befragte Bürgerin ein weiteres Problem an, welches einer vertieften Behandlung bedürfte: Es ist sehr schwer - wenn nicht unmöglich - klar und objektiv zu unterscheiden zwischen Menschen, die nicht erwerbsarbeiten WOLLEN, und solchen, die es nicht KÖNNEN. Dieses Problem ist keine Lappalie, da es hier, wie gesagt, um eine existenzielle Bedrohung von Menschen geht. Sie könnten auch Lösungsvorschläge für die beschriebenen Probleme diskutieren, also zum Beispiel die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens für alle oder einer sanktionsfreien Mindestsicherung. Aber diese Forderung ist nicht Bestandteil meiner Beschwerde, sondern nur ein Vorschlag für den Fall, dass Sie über Ihren Auftrag hinaus auch eine konstruktive Debatte auslösen bzw. begleiten wollen. Mit freundlichen Grüßen Eric Manneschmidt
Frankfurt, 17.3.2024