von Eric Manneschmidt, 28.10.24
Dieser Text ist eine Reaktion auf den Vorschlag von Dr. Carola Eckstein, die Finanzierungslasten für Staatshaushalt und Sozialsysteme von der Arbeit weg auf Vermögen und Ressourcenverbrauch zu verschieben. Sie hat dies in einem Workshop bei der 10-Jahres-Feier des Netzwerks Care Revolution, 18.-20.10.24 in Leipzig, und außerdem auf ihrer Website https://carola-eckstein.de vorgebracht. Da mir Carola sehr sympathisch ist und ich auch schon ihre Gastfreundschaft genossen habe, macht es mir keinen Spaß sie öffentlich zu kritisieren, ich halte es aber für notwendig.
Ihr Hauptanliegen wie oben beschrieben finde ich absolut plausibel und vertrete es mal mehr mal weniger explizit selbst seit Jahren. Es ist nicht sinnvoll, den Faktor (Erwerbs-)Arbeit derartig stark zu belasten wie es heute der Fall ist, und die Faktoren Ressourcenverbrauch (endliche wie Kohle oder Öl sowie knappe wie Bodennutzung oder Fischereirechte) und Vermögen kaum/nicht zu belasten. Über Details ihres Vorschlages und seine konkrete Umsetzung kann und muss man streiten, die grobe Linie ist goldrichtig.
Hochproblematisch ist jedoch Punkt 2 Ihrer Zieldefinition: „Bezahlte Arbeit für alle und faire Bezahlung für alle Arbeit“[1]
Es ist völlig unmöglich, jede Arbeit zu bezahlen. Der Hauptgrund ist, dass es unmöglich ist, jede Art von (notwendiger) Arbeit überhaupt zu erfassen. Es ist eben auch (Sorge-)Arbeit, mal für zwei Stunden auf die Kinder der Nachbarin aufzupassen oder eben mit anzupacken, wenn ein auf den Rollstuhl angewiesener Mensch eine Treppe hoch- oder runtergetragen werden muss. Und auch Arbeit, die nicht im engeren Sinne Sorgearbeit ist, wie politisches oder gesellschaftliches Engagement, ist notwendig und kann nicht mit irgendwie vertretbarem Aufwand von irgendeiner Zahlstelle erfasst und bewertet werden. Schon die tägliche Zeitungslektüre ist angesichts der doch eher frustrierenden oder sogar beängstigenden Nachrichten über Kriege, Klimawandel, Korruption etc. sicherlich kein Freizeitspaß – sie ist in einer Demokratie aber notwendig.
Carola formulierte im persönlichen Gespräch hingegen, dass unbezahlte Tätigkeiten für sie keine Arbeit seien. Konkretes Beispiel waren zwei Menschen, die einen Garten umgraben, der eine gegen Geld, der andere ohne Bezahlung. Exakt die gleiche Tätigkeit, trotzdem sei das eine Arbeit, das andere Hobby.
Das erinnert ein bisschen an den alten Mathematiker-Witz: Einem experimentellen und einem theoretischen Physiker sowie einem Mathematiker wird folgende Aufgabe gestellt. Sie befinden sich in einem leeren Raum und sollen eine Konservendose öffnen. Der exp. Physiker wirft sie ohne Plan solange gegen die Wand, bis sie offen ist. Der theor. Physiker berechnet präzise eine Flugbahn und einen Aufprallwinkel, wirft sie dann auch gegen die Wand – die Dose ist offen. Der Mathematiker (oder die Mathematikerin) nimmt die Dose und sagt: „Ich definiere: die Dose ist offen.“
Das ist so in etwa Carolas Ansatz mit der Arbeit, leider aber gar nicht so richtig witzig. Bestimmte Tätigkeiten einfach nicht als Arbeit zu definieren, ist heute (noch) mehr oder weniger Mainstream, jedenfalls unter Macho-Ökonomen. Daraus folgt, dass Menschen, die diese unbezahlte Arbeit tun (ohne noch zusätzlich einen bezahlten Job zu haben), nicht relevant sind – oder einfach faule Sozialschmarotzer, denen man schon mal Hunger und Obdachlosigkeit an den Hals wünscht.
Noch dazu ist zu bedenken, dass bezahlte Arbeit immer auch Abhängigkeit von Geldgebern (Vorgesetze oder Kunden) bedeutet. Unbezahlte Arbeit hingegen muss jede/r vor ihrem/seinen Gewissen verantworten. Ich würde daher davon ausgehen, dass unbezahlte Arbeit in der Tendenz weit weniger Schaden anrichten, sondern im Gegenteil sinnvoller ist als bezahlte Arbeit. Nun gehöre ich nicht zu denen, die jede Erwerbsarbeit (und das Geld gleich mit) abschaffen wollen, aber wenn es eine Hierarchie zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit gibt, ist letztere die wichtigere – und ihre Ermöglichung daher absolut notwendig. Das ist der wichtigste Grund für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens für alle, dieses versetzt die Menschen in die Lage, das tun zu können, was aus ihrer Sicht getan werden muss.
Eine Gesellschaft, die wie unsere den Menschen das selbstbestimmte Tätigsein verleiden und sie in fremdbestimmte Erwerbsarbeit zwingen will, ist hingegen bereits unterwegs in Richtung Totalitarismus. Definitionen sind ein mächtiges Werkzeug und können viel Leid und schwere Verbrechen nach sich ziehen (man denke an das Konzept der „Untermenschen“). Ich hoffe, dass wir bei Care Revolution bezüglich des Arbeitsbegriffes (und damit, wie gesagt, immer explizit auch bezüglich der Menschen, die Arbeit ausführen), nicht im heutigen Mainstream unterwegs sind und rufe daher dazu auf, Carola Ecksteins Vorschlag an dieser Stelle sehr kritisch zu prüfen.
[1] https://carola-eckstein.de/wp-content/uploads/2024/10/2024_10_07_SystemChange_5Seiten.pdf abgerufen am 22.10.24