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Besser selbstbestimmt leben als selbstbestimmt sterben

Eric Manneschmidt, 20.06.23

 

Seit vergangener Woche wird im Deutschen Bundestag wieder über Sterbehilfe diskutiert. Menschen, die nicht mehr leben wollen, sollen selbstbestimmt aus dem Leben scheiden können. Dies sei ein Gebot der Menschenwürde.[1]

Was im Bundestag aktuell leider nicht diskutiert wird, ist die Frage, ob Menschen nicht vielleicht eigentlich lieber selbstbestimmt leben wollen, und menschenwürdig.

Fakt ist, dass in unserer Gesellschaft großer Druck auf angeblich „unnütze“ Menschen ausgeübt wird. Mit am deutlichsten hat das 2006 Franz Müntefering als Bundesminister für Arbeit und Soziales formuliert: „Nur wer arbeitet, soll auch essen.“[2] Das damalige Arbeitslosengeld II („Hartz IV“ genannt) sah vor, dass Menschen, die unbotmäßig gegenüber dem Jobcenter waren, ihre komplette Existenzgrundlage einschließlich Wohnen und Krankenversicherung gekürzt bekommen konnten. Bereits im Jahr 2007 passierte es dann wirklich, dass ein Erwerbsloser, der auf diese Art und Weise sanktioniert worden war, einfach verhungerte.[3]

Wie viele Leute in der Zwischenzeit in einer vergleichbaren Situation ums Leben kamen, weil sie den „Freitod“ wählten oder in die Obdachlosigkeit sanktioniert wurden und erfroren, ist mir nicht bekannt.

Seit 2023 gibt es nun das „Bürgergeld“, beschlossen durch die Ampel-Koalition. Hier dürfen, wie bereits 2019 das Bundesverfassungsgericht für das Alg II verfügte, Sanktionen nur bis zu 30% des Regelsatzes betragen. Das bedeutet natürlich, dass dennoch das anerkannte Existenz- und Teilhabeminimum deutlich unterschritten wird, wie das mit dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Leben in Würde vereinbar sein soll, ist mir schleierhaft.

Es kommt hinzu, dass im heutigen Sozialstaat immer Menschen an der Bürokratie scheitern, entweder sie wissen gar nicht, dass sie einen Anspruch auf Transferleistungen haben, oder sie sind nicht in der Lage, die geforderten Antragsunterlagen zusammenzubringen. Andere schämen sich so sehr, als „Sozialschmarotzer“ angesehen zu werden, dass sie bewusst auf Transferleistungen verzichten.

Im Ergebnis haben wir die Situation, dass viele Menschen nicht das Einkommen haben, das sie für eine menschenwürdige Existenz brauchen. Auch auf jene, die über ein Einkommen verfügen, wirkt die Angst vor dem sozialen Abstieg, so dass sie mitunter Dinge tun, die sie eigentlich nicht akzeptabel finden, z.B. Mobbing oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder durch einen Partner, von dem sie finanziell abhängig sind, ertragen oder für ein Unternehmen arbeiten, das mit seinem Geschäft Menschen oder Umwelt schädigt (z.B. Tabak-, Kohle-, Rüstungsindustrie etc.).

Das alles macht Menschen an Körper und Seele krank und manche wünschen sich ein Ende und wollen sterben. Aber sollten wir nicht, statt beim „Freitod“ zu helfen, ihnen lieber die Chance geben, ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen?

Dafür bräuchte es (u.a.) ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Damit wäre nicht nur die materielle Grundlage gegeben, sich die Arbeit zu suchen, die mensch machen möchte (und sei sie unbezahlt) – und nur so viel zu arbeiten, wie für das Wohlbefinden gut ist. Es wäre auch unmissverständlich klargestellt, dass jeder Mensch der Gemeinschaft willkommen ist, ganz unabhängig davon, ob er irgendwie „nützlich“ ist für andere, zum BIP beiträgt oder wenigstens durch Unterwürfigkeit gegenüber dem Jobcenter glänzt.

Das Bedingungslose Grundeinkommen löst nicht alle Probleme auf dieser Welt. Manche Menschen z.B. leiden unter großen Schmerzen und brauchen zusätzlich eine gute Palliativmedizin und intensive Betreuung. Aber ohne BGE, also ein bedingungsloses Recht auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben, vom „Freitod“ und davon zu reden, dass die Menschen eine intrinsische Motivation hätten, möglichst nicht länger zu leben, halte ich für zynisch.

 

[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/suizid-sterbehilfe-bundestag-gesetzentwurf-100.html

[2] https://www.zeit.de/online/2006/20/Schreiner/komplettansicht

[3] https://www.stern.de/gesellschaft/tragoedie-zu-hause-verhungert–einfach-so-3364916.html

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