Der Staat spart sogar noch im Vergleich zu heute
„Sehr gute Idee, aber leider nicht zu finanzieren.“ Diesen Satz bekommt man beim Werben für das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) auf Deutschland Straßen sehr oft zu hören. Mir kommt das oft vor wie eine Rechtfertigung, nichts am Status Quo ändern zu müssen.
Doch diese Ausrede ist obsolet. Das BGE ist definitiv finanzierbar, wie der Bad Homburger Volkswirt Robert Carls bei einem Seminar am letzten Dienstag in der Bessunger Knabenschule in Darmstadt zeigte. Dort stellte er den Zuhörern das von ihm erarbeitete Konzept zur Finanzierung eines BGE in Deutschland vor.
Die Höhe des Grundeinkommens soll 1.100 Euro pro Monat für Erwachsene und 500 Euro für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre betragen. Mit dem Grundeinkommen verbunden ist die kostenlose Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, die als steuerfinanzierte Versicherungsleistung für alle Bürger umgestaltet wird. Da zugleich das BGE als Mindestrente die heutige beitragsfinanzierte gesetzliche Rente ablöst, entfallen die gesetzlichen Sozialabgaben.
Die Einnahmen des Staates konzentrieren sich nach der Einführung des Grundeinkommens wie bisher auf die indirekten Steuern und zweitens auf die direkten Einkommensteuern bei einem pauschalen nominellen Steuersatz von 61 % auf alle Einkunftsarten. Wirklich bezahlen werden die Bürger aber deutlich weniger Steuern.
Denn Robert schlägt vor, das BGE mit der Einkommensteuer zu verrechnen. Drei unterschiedliche Fälle sind dabei zu unterscheiden:
– Jemand ohne Einkommen hat keine Steuerschuld, also bekommt er den vollen Satz von 1.100 Euro für seine Existenz, Kosten der Unterkunft, soziale und kulturelle Teilhabe.
– Bis zu einem Brutto-Einkommen von 1.800 Euro beträgt die monatliche Steuerschuld weniger als 1.100 Euro. Bei einer Steuerschuld von z.B. 500 Euro finanziert das BGE die Steuern und der Erwerbstätige erhält zusätzlich zu seinem Brutto-Einkommen die Differenz zum BGE in Höhe von 600 Euro. Ein Rechenbeispiel: Jemand verdient 1600 Euro Brutto. Er hat eine Steuerschuld von 976 Euro (61 % vom Brutto). D.h. er bekommt vom Staat noch 1100 – 976 = 124 Euro ausbezahlt. Er kommt also auf ein „Netto“ von 1724 Euro.
– Bei höheren Brutto-Einkommen übersteigt die Steuerschuld 1.100 Euro. Das Grundeinkommen wirkt hier wie eine Steuergutschrift. Der Steuerpflichtige muss lediglich die Differenz zu den festgestellten Einkommensteuern an das Finanzamt überweisen.
Tatsächlich werden durch die Verrechnung nur etwas über 270 Mrd. Euro zur Finanzierung des BGE benötigt. Der Staat muss bei weitem nicht die 1 Billion Euro auszahlen, die oft als plakativer Beleg für die angeblich rahmensprengenden Kosten eines BGE ins Feld geführt werden.
Robert zeigte wie sich sein Modell auf die Einkommensverteilung auswirken würde. Die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung würde ggf. zusätzlich zu Ihren Erwerbseinkünften Geld vom Staat bekommen. Die besser verdienenden 50 % würden weiter Steuern zahlen.
Besonders interessant fand ich den Vergleich zu heute, also wer gewinnen und wer verlieren würde. Die allermeisten Deutschen, nämlich 90 Prozent hätten mehr Netto vom Brutto, teilweise sogar mehr Netto
Nur das einkommensstärkste Zehntel der Deutschen würde mehr an den Fiskus abführen als heute (Sozialabgaben und Einkommensteuern zusammengerechnet). Ihr effektiver Steuersatz würde sich kaum erhöhen und läge (im Durchschnitt) bei 46,7%.
Dieses Ergebnis hat mit den exorbitanten Einkommensunterschieden in Deutschland zu tun: Die obersten 10% verdienen brutto fast 300 Mal so viel wie die unteren 10%, nämlich fast 700 Milliarden Euro. Sie verdienen sogar fast doppelt so viel wie jenes Zehntel der Bevölkerung, das einkommensmäßig gleich nach ihnen kommt. Roberts Modell würde die Schere zwischen Arm und Reich etwas zuklappen lassen.
Die Gegenfinanzierung wird durch die Ablösung von derzeitigen Sozialleistungen durch das Grundeinkommen in Höhe von über 430 Mrd. Euro sichergestellt. Z.B. können die Aufwendungen für die gesetzlichen Renten (das BGE wird Mindestrente), das Kindergeld, die Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Sozialhilfe, das Elterngeld und das Ehegattensplitting wegfallen. Zudem sind keine Steuer-oder Abgabenerhöhungen zur Finanzierung des Grundeinkommens erforderlich.
Für mich am faszinierendsten am vorgestellten Modell: Es ergibt sich sogar ein Ablösungsgewinn von über 160 Mrd. Euro (430 Mrd. Euro – 270 Mrd. Euro) aus eingesparten Sozialleistungen nach der Einführung des Grundeinkommens. Darunter fallen Kosten für Personal- und Sachaufwand in der Sozialverwaltung und Gelder, die bisher per Gießkanne an den eigentlich Bedürftigen vorbei verteilt wurden, wie beim Ehegattensplitting, Elterngeld und Kindergeld.
Von den Einsparungen ist ein Drittel zur Finanzierung bestehender Verpflichtungen (Bestandsschutz) oder für soziale Härtefälle eingeplant. Über 100 Mrd. Euro oder zwei Drittel des Gewinns verbleiben bei den Bürgerinnen und Bürgern zur freien Verfügung. In dieser Größenordnung werden die Bürgerinnen von Steuern und Sozialabgaben entlastet.
Entsprechend verringern sich die gesamten Staatseinnahmen und die Steuer- und Abgabenquote sinkt für das Jahr 2014 von 36,0 % auf 32,1 % nach der angenommenen Einführung des Grundeinkommens.
Insgesamt finde ich Roberts Konzept sehr rund. Es weist den Weg in eine gerechtere und freiere Gesellschaft. Die anderen Teilnehmer fanden das wohl auch. Denn die anschließende Diskussion drehte sich nicht so sehr um die Finanzierbarkeit, sondern vielmehr um die Frage der Akzeptanz eines BGE vor dem Hintergrund einer sehr stark in den Köpfen und Seelen verankerten Arbeitsethik, in der es Geld nur gegen Leistung gibt.
Doch das ist wieder ein anderes Thema.
Christian J. Meier