Die Science-Fiction-Welt rauscht an.
Oder warum nur ein bedingungsloses Grundeinkommen die Informationsgesellschaft zusammenhalten kann.
von Christian J. Meier
Die Frage, ob man das BGE mit der Automatisierung von immer mehr beruflichen Tätigkeiten begründen soll, möchte ich mit einem klaren Ja beantworten.
Die Automatisierung ist keine Science-Fiction, sie ist eine aktuelle Realität, die gerade dabei ist, unsere Gesellschaft umzuwälzen. Wir sind Zeugen des Anbruchs eines neuen Zeitalters, nach der Agrar- und Industriegesellschaft kommt jetzt die Informationsgesellschaft.
Das hat profunde Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Roboter stürmen lange gehaltene Bastionen menschlichen Könnens. Noch nicht lange her, da wiegten sich zum Beispiel Angestellte der Bekleidungsindustrie in Sicherheit vor der digitalen Revolution. Roboter konnten Vieles, aber eben nicht nähen. Das ist Vergangenheit. Nächstes Jahr will Adidas neue Fabriken in Deutschland und den USA mit nur 300 Mitarbeitern in Betrieb nehmen. Die Angestellten warten die Roboter, zum Nähen von Schuhen braucht Adidas sie nicht. Die Roboter bedrohen die (zweifelhaften) Geschäftsmodelle ganzer Staaten wie Bangladesch oder Kambodscha, die von der Bekleidungsindustrie leben.
Selbst Kopfarbeiter müssen nicht mehr darauf warten, dass Computer mit ihnen in den Ring steigen. Am Universitätsklinikum Marburg hilft die Künstliche Intelligenz „Watson“ einem überlasteten Ärzteteam bei der Diagnose seltener Krankheiten. Die Ärzte haben die Maschine zuvor getestet. Sie ist verdammt gut in dem, was sie tut.
Musiker und Journalisten, deren Arbeit von Streamingdiensten oder Umsonst-Netzinhalten längst massiv entwertet wurde, wissen schon länger, wie sich die digitale Umwälzung anfühlt. Inzwischen schreiben Roboter journalistische Artikel.
Studien belegen den anstehenden Umbruch am Arbeitsmarkt
Laut einer Studie von Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der University of Oxford aus dem Jahr 2013 sind in den USA 47 Prozent aller Jobs von der Computerisierung bedroht, die meisten davon nicht etwa in der industriellen Produktion. Sondern Bürojobs, Dienstleistungsjobs und Vertrieb. Auch das Management und die Finanzindustrie gehören zu den Verlierern.
Die Oxforder Studie wurde 2015 auf Deutschland übertragen. Dabei kamen Volkswirte der Bank ING-Diba zu dem Ergebnis, dass 59 Prozent der Jobs hierzulande vom Roboter-Einsatz gefährdet sind, die meisten davon im gering qualifizierten Bereich. Aber auch gut die Hälfte von Handwerksjobs und technischen Berufen stehen zur Disposition. Von den akademischen Berufen sind immerhin gut 10% bedroht.
Vorsichtiger ist eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Demnach haben hierzulande 12 % der Jobs eine hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit.
Die Unterschiede in den Einschätzungen spiegeln subjektive Expertenmeinungen über die tatsächliche Einsetzbarkeit von Robotern wieder. Manche Automaten werden zwar technisch möglich sein, aber nicht oder nicht vollumfänglich angewendet werden. So könnte das autonome Fahren, das die Jobs von Taxi-, Bus- oder LKW-Fahrern bedroht, durchaus wegen ethischer und juristischer Hürden später, eingeschränkt, oder vielleicht auch gar nicht in die Verkehrsrealität einziehen.
Dennoch: 12% der Jobs in Deutschland; das sind mehr als 5 Millionen. Wie gesagt, das ist die vorsichtige Schätzung.
„Die menschliche Arbeit hat immer weniger Anteil an der Produktivität“, resümierte jüngst Yvonne Hofstetter, Gründerin eines KI-Dienstleisters (KI= Künstliche Intelligenz).
Dem wird oft entgegengehalten, die wegfallenden Jobs würden durch anspruchsvolle Computerjobs ersetzt.
Diese Argumentation erklärt nicht, wie es gelingen soll, all die gering qualifizierten Arbeiter in fordernde, hochqualifizierte Jobs zu bringen. Und auch nicht, warum die Wirtschaft Roboter einsetzen soll, wenn sie danach genauso viele Leute beschäftigen muss, denen sie wegen ihrer dann höheren Qualifikation mehr Geld bezahlen muss. Das wirtschaftliche Ziel der Automatisierung ist die Einsparung von Lohnkosten. Dass die aufs Abstellgleis Gestellten alle brillante Geschäftsmodelle für die neue digitale Welt ersinnen und vom Underdog zum Selfmade-Man werden, kann ich auch nicht glauben.
Da muss ich eher Siemens-Chef Joe Kaeser recht geben, der jüngst sagte, es würden „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“.
Dass wir ein Volk von Computerspezialisten und hoch qualifizierten Gutverdienern mit schwer automatisierbaren Jobs werden, ist eine Utopie. Die Vollbeschäftigung ist in der Zukunft eine Utopie. Wie die Zukunft im schlechten Fall aussieht, kann man im Silicon Valley schon heute beobachten. Dort leben Mitarbeiter von Google in einer Hightech-Parallelwelt, während der Mittelstand bröckelt, und viele seiner ehemaligen Mitglieder trotz Job nicht mehr über die Runden kommen, ja oft sogar obdachlos werden.
Die Debatte kommt aus der High-Tech-Branche
Die Frage lautet also nicht, ob wir die Digitalisierung und die damit verbundene Automatisierung wollen. Sondern: Können wir das so umsteuern, dass die Digitale Revolution nicht ein Heer von gering qualifizierten Verlierern produziert, das einer kleinen Clique von Gewinnern dient, als rechtloser Clickworker? Wie lässt sich verhindern, dass Städte veröden, wie die ehemalige Kodak-Stadt Rochester, der die Digitalisierung ihr wirtschaftliches Rückgrat gebrochen hat.
Die Politik können wir vorerst vergessen. Wenn Politiker über die Digitalisierung reden, gewinnt man den Eindruck, dass sie sich des Ausmaßes dieser Umwälzung nicht bewusst sind. Das ist die freundliche Interpretation. Es ist offensichtlich, dass Angela Merkel in ihrer bräsigen, buddhamäßigen Selbstzufriedenheit den anstehenden Wandel nicht gestalten wird. Das bleierne Weiter-so kommt fatalerweise beim deutschen Wähler bestens an.
Den Part, den Wandel in die Debatte zu bringen und sozialpolitische Veränderungen einzufordern übernehmen indessen Wirtschaftsführer aus der Hightech- und KI-Branche, wie Joe Kaeser, Telekom-Chef Thimoteus Höttges, Tesla-Gründer Elon Musk, oder Vertreter der KI-Branche wie Yvonne Hofstetter (Teramark Technologies) oder Chris Boos (Arago). Sie sehen wohl die Akzeptanz für ihre Technologien gefährdet und fürchten einen Maschinensturm. Die Gesellschaft könnte „Nein“ zur Automatisierung sagen, wenn diese immer mehr Menschen ins Abseits stellt.
Das BGE als Kitt einer bröselnden Informationsgesellschaft
Die Automatisierer selbst fordern daher ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE).
Kann das BGE der Kitt sein, der die bröckelnde Informationsgesellschaft zusammenhält?
Ich denke ja, sofern es Existenz und gesellschaftliche Teilhabe absichert. Denn dann entfiele der Zwang der Zurückgebliebenen, sich als Clickworker durchschlagen zu müssen. Städte müssten nicht veröden, weil es keine Notwendigkeit gibt, in eines der hippen, florierenden und somit exorbitant teuren Zentren zu ziehen, in denen die Digitalwirtschaft zu Hause ist.
Alternative, weniger durchtechnisierte Lebensweisen wären leichter zugänglich. Die Menschen wären auch hinsichtlich der Informationstechnologien freier und könnten nur jene Maschinen in ihr Leben lassen, die ihnen wirklichen Nutzen bringen. Die dystopische Versklavung des Menschen durch die Maschine würde nicht funktionieren.
Auf der anderen Seite würde die Wirtschaft das Millionenheer der Zurückgebliebenen als Konsumenten behalten. Smartphones kaufen keine Smartphones, könnte man in Abwandlung des Zitates des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger sagen („Autos kaufen keine Autos“).
Wenn Konsumenten nur das tatsächlich Nützliche kaufen, dann halte ich auch das oft belächelte Roboter-Schlaraffenland für möglich. Schon heute kosten wir die Wohlstands-Dividende der Digitalisierung aus. Zum Beispiel müssen wir für Einkäufe und Banküberweisungen das Haus nicht mehr verlassen. Die Sharing-Economy gibt uns neue Formen des Konsumierens in die Hand.
Auch der Umwelt- und Klimaschutz braucht die Informationstechnologien. Ohne ein comptuergesteuertes Smart-Grid ist ein Gelingen der Energiewende unmöglich.
Wir BGE-Befürworter sind somit gut beraten, die Automatisierung als Argumentationshilfe für unser Anliegen zu nutzen. Diese Debatte ist bereits in der öffentlichen Debatte angekommen. Es wäre eine Art politisches Ungeschick, diesen Drive nicht zu nutzen, oder ihm gar entgegenzuwirken.