Die Verwässerung der Idee vom Grundeinkommen
Christian J. Meier
Das Grundeinkommen ist im Wahlkampf angekommen, wenn auch in einer verdrehten Form. Martin Schulz schlägt ein „Chancenkonto“ vor: Jeder Arbeitnehmer soll vom Staat einen Betrag für Weiterbildung aus Steuermitteln bekommen. Es sollen wohl 15 – 20000 Euro sein, wie die Ideengeberin Andrea Nahles auf der diesjährigen re:publica wissen ließ. Die taz nennt es „Grundeinkommen light.“
Bevor ich das Konzept kritisiere, ein kleines Outing: Ich finde Martin Schulz gut. Er bringt wenigstens ein bisschen Wind in die eingeschlafene Politik dieses Landes. Endlich reibt sich mal ein Politiker mit unserer fleischgewordenen Politikverdrossenheit im Kanzleramt. Martin Schulz macht das richtig: Er greift die wortkarge Patin des Stillstands mit Inhalten an. Mir sind Politiker lieber, die Streitbares vorschlagen als Politiker, die gar nichts anbieten.
Der Vorschlag eines „Chancenkonto“ beweist, dass die etablierte Politik das Rumoren in der Gesellschaft spürt. Die Menschen fühlen die Umwälzungen der Wirtschaft am eigenen Leib und verlangen von den Politikern, dass sie sich darum kümmern. Es ist ein gutes Zeichen, wenn sich die etablierte Politik dem nicht mehr komplett versperrt.
Aber leider kann sie sich nicht von ihren alten Denkmustern lösen. Sie ist gefangen in der Partei-Logik. Andrea Nahles stört am BGE vor allem dessen Pauschalität: Jeder bekommt, einfach so, ein Existenzminimum vom Staat überwiesen. Verständlich, dass Parteipolitiker damit nicht klar kommen. Sie leben davon, mit Steuergeldern ihre Klientel zu erfreuen, mehr Geld für Familien, für „die hart arbeitende Mitte“, für die Unternehmen usw. Wie es gerade beliebt.
Geld ist ein Gestaltungsmittel, das die Politiker unter ihrer Kontrolle behalten wollen. Eine pauschale Herausgabe würde sie ihrer Macht als Geldverteiler berauben. Der Bürger, der von den Parteien zufällig gerade nicht mit Beachtung gesegnet wird, schaut in die Röhre. Dies betrifft vor allem die Armen in diesem Lande, die es sich folglich sparen, zur Wahl zu gehen. Es gibt in Berlin kaum jemanden, der sie als Zielgruppe gebrauchen könnte. Sie kommen in der bundespolitischen Debatte höchstens am Rande vor. Das ist der Preis der Klientelpolitik: Die Fragmentierung der Gesellschaft.
Daraus befreit sich auch die SPD nicht. Sie zwängt die Idee des BGE in das Korsett ihrer Zielgruppen-Politik. Das „Chancenkonto“ ist für Arbeitnehmer gedacht. Also für die Leute, die die SPD wählen sollen. Das Chancenkonto ist also mit der Erwerbsarbeit verknüpft. Einer der zentralen Forderungen der BGE-Bewegung, die Entkopplung von Einkommen und Arbeit, kommt man damit keinen Millimeter näher. Es entsteht vielmehr der Verdacht, dass die SPD den Unternehmen ein kleines Geschenk machen will: Die Kosten für die Weiterbildung übernimmt in Zukunft der Staat. Immerhin stellte Nahles in Aussicht, das Geld könne auch für eherenamtliches Engagement benutzt werden. Doch den Milliarden von Stunden ehrenamtlicher Arbeit, die jährlich geleistet werden, wird man mit einmaligen 20000 Euro pro Leben (wenn’s hoch kommt) nicht ansatzweise gerecht. Soll das ein Witz sein, ist man im Namen der Millionen, die für Gottes Lohn diese Gesellschaft vor dem Zusammenbruch bewahren, geneigt zu fragen.
Mein Fazit: Der Grundeinkommens-Gedanke ist in der etablierten Politik angekommen. Die BGE-Bewegung sollte das grundsätzlich begrüßen. Die Politiker versuchen aber, das Thema in ihrem Sinne zu kanalisieren. Die BGE-Bewegung muss darauf pochen, dass die Idee des BGE nicht verwässert oder gar für parteipolitische Klientelpolitik zweckentfremdet wird.