Zwei Aktive unserer Initiative hatten am 12.04.2023 Dr. Thorsten Lieb, Bundestagsabgeordneter der FDP für Frankfurt, um einen Termin für ein Gespräch über das Bedingungslose Grundeinkommen gebeten. Am 20.04. erhielten wir per Email folgendes Antwortschreiben (pdf):
Sehr geehrte Frau Harth,
sehr geehrter Herr Manneschmidt,
vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihre Bitte um ein persönliches Gespräch zu einem etwaigen bedingungslosen Grundeinkommen. Gerne nutze ich vor dem Hintergrund Ihrer Anfrage die Gelegenheit, kurz meine grundsätzliche Position darzulegen. Aufgrund der aktuell zahlreichen vordringlichen Themen kann ich derzeit keinen Termin für einen persönlichen Austausch möglich machen; ich sehe das auch als keine vordringliche Frage an.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen trägt meines Erachtens nach eher zum Gegenteil dessen bei, was es auf dem Papier vermeintlich verspricht. Es schafft keinerlei Anreize, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und das in Zeiten, wo unsere moderne, aber schrumpfende Gesellschaft an nahezu allen Stellen dringenden Arbeitskräftebedarf hat. Ich persönlich halte am Prinzip des Förderns und des Forderns fest. Fleiß sollte in unserer Gesellschafft belohnt werden. Der Wille, einer beruflichen Tätigkeit nach Ausbildung oder Studium nachzugehen, sollte belohnt werden. Wir haben in Deutschland aufgrund unserer starken Wirtschaft bereits heute den am besten ausgebauten Sozialstaat der Welt. Mit dem kürzlich verabschiedeten Bürgergeld haben wir dazu beigetragen, dass noch fokussierter unterstützt werden kann, ohne dass eine Unterstützung mit einem irgendwie gearteten sozialen Makel verbunden wäre. Das Bürgergeld sieht klare Mitwirkungspflichten vor und so, wie wir es aufgebaut haben, liefert es Anreize, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Auf diesem Weg haben wir uns aus guten Gründen gemeinsam in der Koalition begeben. Mit dem Projekt „Kindergrundsicherung“, welches die Mittel zielorientierter zu verwenden verspricht, ist der nächste Schritt bereits in Sicht. Wir halten das für die richtigen Antworten auf die sozialpolitischen Herausforderungen der Zeit.
Mit besten Grüßen
Dr. Thorsten Lieb, MdB
Wir antworteten ihm am 03.05.2023 wie folgt:
Sehr geehrter Herr Dr. Lieb,
vielen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 20.4. auf unsere Bitte um ein Gespräch über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens.
Wir bedauern sehr, dass Sie zu einem persönlichen Gespräch nicht bereit sind, anerkennen aber, dass Sie sich immerhin schriftlich zur Sache geäußert haben und erlauben uns, Ihr Schreiben sowie unsere Entgegnung auf unserer Website zu veröffentlichen.
Zur Sache:
Sie schreiben: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen trägt meines Erachtens nach eher zum Gegenteil dessen bei, was es auf dem Papier vermeintlich verspricht. Es schafft keinerlei Anreize, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen….“
Da liegt offensichtlich ein Missverständnis vor. Es geht beim Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) nicht zuvörderst darum, dass Menschen mehr Erwerbsarbeit machen sollen. Es ist unseres Erachtens ein Fehler, Erwerbsarbeit zu einem Ziel an sich zu erklären, es muss vielmehr darum gehen, dass gesellschaftlich notwendige Arbeit erledigt werden kann. Diese ist zum großen (nach der letzten Zeitverwendungsstudie von 2013 [1] sogar zum größeren) Teil unbezahlte Arbeit, die Menschen einfach tun, weil sie notwendig ist. Wer sich heute dieser Arbeit widmet, es handelt sich um Sorge-, Demokratie- und schöpferisch-kreative Arbeit, muss dafür oft Armut und existenzielle Not in Kauf nehmen. Das ist einer liberalen Demokratie unwürdig und gefährdet durchaus dieselbe.
Es ist nicht so, dass Erwerbsarbeit an sich immer sinnvoll wäre und per se einen Beitrag zum Gemeinwohl darstellen würde. Wir verweisen hier auf den von David Graeber geprägten Begriff „Bullshit Jobs“[2] sowie das von kanadischen BGE-Aktivistinnen aufgespießte Phänomen des „Jobismus“[3].
Beim BGE geht es um die Umsetzung des grundgesetzlich festgeschriebenen Rechtes auf ein Leben in Würde, welches weder das alte ALG 2 (Hartz IV) gewährleisten konnte[4], noch das aktuelle Bürgergeld sicherstellen kann[5].
Allerdings ist es dennoch so, dass das BGE im Niedrigeinkommensbereich die Motivation zur Aufnahme bezahlter Arbeit stärken wird im Vergleich mit dem Bürgergeld. Das liegt daran, dass bei bedürftigkeitsgeprüften Sozialleistungen erzieltes Erwerbseinkommen immer wenigstens zum Teil angerechnet wird (das liegt in der Natur der Sache, da mit dem erzielten Einkommen ja die Bedürftigkeit abnimmt) während das BGE immer erhalten bleibt, also bei Erwerbseinkommen nicht abgeschmolzen wird.
Fleiß wird also gerade mit BGE belohnt, wohingegen bedürftigkeitsgeprüfte Sozialtransfers demotivierend wirken.
Als Vertreter einer Partei, die sich als Fürsprecherin der Marktwirtschaft versteht, müsste es Ihnen im Übrigen sympathisch sein, dass mit dem BGE erst ein wirklicher Arbeitsmarkt entsteht. Ein Marktgeschehen basiert immerhin auf Freiwilligkeit. Wer gezwungen ist, jeden erstbesten Job anzunehmen, um am Leben zu bleiben, der hat keine oder kaum reale Wahlmöglichkeiten oder Freiheit. Mit der Einführung des Bürgergeldes ändert sich an dieser Situation grundlegend nichts, dieses bleibt im alten paternalistischen Sozialstaatsdenken verhaftet.
Der gesetzliche Mindestlohn hingegen, dessen Erhöhung Sie als Mitglied der Regierungskoalition vermutlich letztes Jahr mitgetragen haben und der ja dieses Jahr wieder erhöht werden soll, ist ein staatlicher Eingriff in den Arbeitsmarkt, der mit Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Er soll zwar der sozialen Gerechtigkeit dienen, aber wer entscheidet, was „gerecht“ ist? Fakt ist, dass beim Mindestlohn ein großer Teil der Leistungen, die Menschen für andere oder für das Gemeinwesen erbringen, keine Rolle spielt: Sowohl die Arbeit Selbstständiger als auch der riesige Bereich der unbezahlten Arbeit. Andererseits entstehen aber Durchsetzungskosten und wir können davon ausgehen, dass die erhöhten Personalkosten wenigstens zum Teil in die Preise übergewälzt werden. Diese Kosten tragen alle Mitglieder der Gesellschaft.
Das Bedingungslose Grundeinkommen wird im Gegensatz dazu Lohnverhandlungen auf Augenhöhe ermöglichen, so dass wichtige, unangenehme oder gefährliche/gesundheitsschädliche Arbeit unter Umständen besser bezahlt werden muss. Aber das ist dann das Ergebnis eines freien Aushandlungsprozesses und nicht staatlicher Vorgaben. Es gibt keine Umgehungsversuche und folglich keinen Kontrollaufwand mehr.[6]
Sie schreiben weiter: „Das Bürgergeld sieht klare Mitwirkungspflichten vor und so, wie wir es aufgebaut haben, liefert es Anreize, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.“
Die besagte „Mitwirkung“, man könnte auch sagen „Gehorsam“, soll im Bürgergeld durch die Drohung mit Sanktionen, also mit einer Kürzung der Transferleistung unter das gesetzliche Existenzminimum, erreicht werden. Das ist nicht nur aus menschenrechtlicher Sicht hoch problematisch, es ist auch in Studien belegt, dass diese Bedrohung der Bürger*innen (die ja unsere demokratische Ordnung tragen), negative Folgen auf die persönliche und finanzielle Situation und das Arbeitsverhalten der Betroffenen haben[7].
Es muss noch ergänzt werden, dass das BGE eine breitere Verteilung von Kaufkraft bewirken und dadurch die Binnennachfrage stärken wird. Das wird der Konjunktur guttun und somit zur Erhaltung und Sicherung von Erwerbsarbeitsplätzen beitragen. Außerdem wird dadurch die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export in autokratisch regierte Länder wie China abnehmen, was sowohl aus sicherheitspolitischer als auch menschenrechtlicher Sicht zu begrüßen ist.
Sie schreiben außerdem: „Mit dem kürzlich verabschiedeten Bürgergeld haben wir dazu beigetragen, dass noch fokussierter unterstützt werden kann, ohne dass eine Unterstützung mit einem irgendwie gearteten sozialen Makel verbunden wäre.“
Solange wir am Primat der Erwerbsarbeit festhalten, also an der Norm, dass möglichst jeder Mensch (in einem gewissen Alter) Geld verdienen soll, ist eine Abwertung und Stigmatisierung von jenen, die das nicht tun, nicht zu vermeiden. Daran ändert auch das Bürgergeld nichts und es ist in der Tat nicht erstaunlich, dass bereits kurz nach seiner Einführung der erste Fall von entwürdigender Behandlung einer Bürgergeld-Bezieherin dokumentiert wurde[8].
Im Koalitionsvertrag der Ampel wird die Einführung eines „Klimageldes“ angekündigt. Das Klimageld ist ein Instrument, um auf marktwirtschaftlichem Wege den Klimaschutz voranzubringen und diesen sozial verträglich zu gestalten[9]. Es kann, muss aber nicht, der Einstieg in ein Bedingungsloses Grundeinkommen sein. Wie stehen Sie zum Klimageld und was unternehmen Sie und Ihre Partei, damit es möglichst rasch eingeführt werden kann?
Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition wird weiterhin die Einführung einer Kindergrundsicherung erwähnt. Kinder sind die Zukunft jeder Gesellschaft, jedes Wirtschaftssystems. Kinder können – von Geburt bis zum 16. Lebensjahr – nicht für ihren eigenen Unterhalt sorgen, sondern sind 100% auf Fremdversorgung angewiesen. Keine:r von uns hätte überlebt, wenn sich nicht eine Mutter oder jemand vergleichbares um uns gekümmert hätte, fast immer unbezahlt. In Hessen ist jedes 4. Kind armutsgefährdet. Das verstößt gegen die Grundsätze der freiheitlichen Demokratie, nach welchen alle gleich sind vor dem Gesetz, und es verstößt gegen unser Grundgesetz, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist. Kein Kind hat sich die Familie ausgesucht, in die es hineingeboren wurde. Warum stellt niemand in Frage, dass es bei uns die öffentliche Schule gibt, die allen Kindern – ob aus Milliardärsfamilien oder Bürgergeld-Familien – kostenlos zur Verfügung steht. Jegliche Studie belegt, dass diese wichtige Infrastruktur dennoch keineswegs Chancengleichheit bedeutet, dass Bildung immer noch mit sozialem Status korreliert.
Ein Kindergrundeinkommen (von mindestens 750 Euro im Monat), das die diskriminierende finanzielle und steuerliche Behandlung von Kindern [10], wie sie die gegenwärtige Familienpolitik betreibt, ablösen würde, wäre ein Schritt in die Richtung „Gleichheit vor dem Gesetz“ und somit auch von Freiheit und Solidarität. Wie sehen Sie das und wie setzen Sie sich für Kinder ein?
Mit freundlichen Grüßen
Elfriede Harth
Eric Manneschmidt
[1] https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2016/02/unbezahlte-arbeit-022016.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Bullshit_Jobs
[3] https://bge-rheinmain.org/jobismus
[4] siehe z.B. https://www.stern.de/gesellschaft/tragoedie-zu-hause-verhungert–einfach-so-3364916.html
[5] https://www.grundeinkommen.de/20/01/2023/ineffektiv-und-politisch-gefaehrlich-beduerftigkeitsgepruefte-sozialtransfers-zur-vorgeblichen-sicherung-der-existenz-und-teilhabe.html
[6] eine Gegenüberstellung von BGE und Mindestlohn siehe hier: https://www.grundeinkommen.de/05/07/2013/warum-ein-allgemeiner-gesetzlicher-mindestlohn-nichts-mit-einem-bedingungslosen-grundeinkommen-zu-tun-hat-und-auch-sonst-nicht-unterstuetzenswert-ist.html
[7] https://www.derwesten.de/politik/buergergeld-hartz-4-sanktionen-studie-helena-steinhaus-paritaetischer-id300491959.html
[8] https://www.fr.de/politik/buergergeld-alleinerziehende-harz-vier-amt-warum-sie-nicht-verhuetet-hat-92069226.html
[9] https://www.ccl-d.org/klimaloesung/
[10] Gegenwärtig wird Bürgergeld beziehenden Familien das Kindergeld sowie das Elterngeld angerechnet. Reiche Familien erhalten über den Steuerfreibetrag bis zu 50% höhere staatliche Zuwendungen als „normale Mittelklassenfamilie“. Auch die Politik des Elterngeldes, so wie von Frau von der Leyen eingeführt, kann als soziale Eugenik angesehen werden: Nicht die Geburt eines Kindes wird vom Staat honoriert, sondern der soziale Status der Mutter (oder Eltern).