Guy Standing
Im Juli 2024 publizierte das Nationale Büro für Wirtschaftsforschung (NBER) einen Bericht der Forscher über ein in Illinois und Texas durchgeführtes Einkommenstransfer-Projekt. Dieses erregte weltweite Aufmerksamkeit und einige Kommentatoren behaupten, dass es die Sache des Grundeinkommens untergrabe, während andere behaupten, dass es sie stütze.
Dieser Text ist eine Besprechung des Projekts und ein Punkt muss gleich zu Beginn deutlich gemacht werden: Dieses Experiment war kein Test des Grundeinkommen. Jeder, der anderes behauptet, ist entweder mit dem Konzept des Grundeinkommens nicht vertraut oder unaufrichtig.
Um gegenüber den Forschern fair zu sein: Der Titel ihres Hauptberichtes bezieht sich auf ein „Garantiertes Einkommen“, nicht ein Grundeinkommen. Aber soweit ich sehen kann, hat keiner der Forscher die Interpretation durch die Kritiker zurückgewiesen. Außerdem weiß ich, und ich war beteiligt an den anfänglichen Diskussionen des Projekts an der Stanford-Universität, dass die Forscher zu Beginn wussten, dass sie kein richtiges Grundeinkommens-Pilotprojekt würden durchführen können.
Das hat Kritiker jedoch nicht davon abgehalten, das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zu verreißen. Eine feindselige Interpretation bot Chris Giles dar, der, nicht zum ersten Mal, das „Bedingungslose Grundeinkommen“ als eine „schlechte Idee, die niemals ausstirbt“ abqualifiziert.[1] Er gründet seine Verachtung im Wesentlichen auf die Studie, die nach seiner Aussage zeige, dass das Grundeinkommen das Angebot von Erwerbsarbeit reduzieren und nichts für die Gesundheit bringen würde.
Er behauptet, dass diese die erste sehr große wissenschaftliche Studie des Grundeinkommens wäre. Das ist nicht wahr. Lassen Sie uns diese Behauptung auseinandernehmen. Erstens ist es nicht die erste Studie, die ein Pilotprojekt des Grundeinkommens sein will. Es gab mehr als 100 Experimente, manche größer und manche länger andauernd. Diese ist weniger ein Test des Grundeinkommens als viele jener Experimente.
Zweitens ist es nicht das erste „groß angelegte“ Experiment. Eines, das wir in Indien durchgeführt haben, war viermal größer und hatte sechsmal so viele Empfänger*innen. Anders als dieses Experiment war es ein richtiges Grundeinkommens-Pilotprojekt, in dem jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in neun Gemeinden das Grundeinkommen erhielten und niemand in dreizehn anderen eines bekam.[2]
Ein in Kalifornien durchgeführtes Experiment hatte dreimal so viele Empfänger*innen und eine Kontrollgruppe, die ebenfalls dreimal so groß war. Das größte Grundeinkommens-Projekt gibt es in Südkorea, wo 125.000 junge Leute ein Grundeinkommen erhalten haben. Das am längsten andauernde Projekt läuft derzeit in Kenia, mit einer geplanten Gesamtdauer von zwölf Jahren. In 50 US-Städten sind in den letzten Jahren Versuche verschiedener Größe durchgeführt worden.
Diese Falschbehauptung wäre nicht so schlimm, würde Giles nicht behaupten, dass diese Studie Fakten zu einer Debatte hinzufügen würde, die in der Vergangenheit „Mathe gegen Ideale“ ausspielte. Mit anderen Worten: Der Wirtschaftskommentator der Financial Times behauptet, es gäbe bislang keine empirischen Studien.
Drittens betont er, dieses sei das erste „hochwertige“ Experiment. Das ist subjektiv. Vermutlich nennt er es so, weil es eine randomisierte kontrollierte Methode nutzt, die aktuell angesagte statistische Technik. Allerdings, das haben mindestens zwei Wirtschaftsnobelpreisträger gezeigt, ist die Anwendung dieser Technik in angewandter Ökonomik umstritten und nicht wirklich zuverlässig.[3]
Es ist die bevorzugte wissenschaftliche Methode in der medizinischen Forschung, wo drei Optionen eingesetzt werden: Behandlung, Nicht-Behandlung und Placebo. Man kann kein Placebo für eine Sozialpolitik entwickeln. Des Weiteren ist das größere Problem, dass man nicht gemessene oder nicht messbare Variablen nicht randomisieren kann. Man sollte sicherlich Policy-Experimente mit Kontrollgruppen durchführen. Aber sie sind keine Wundermittel.
Wie Kritiker von randomisierten Kontrollstudien (RKS) richtigerweise argumentieren, ist die beste Methode eine, welche die überzeugendsten und relevantesten Antworten im jeweiligen Kontext erbringt.[4] Und für Grundeinkommen-Pilotprojekte sind RKS kaum in ihrer Reinform anwendbar, weil die Auswahl von zufälligen Individuen als Grundeinkommens-Empfänger gegen zentrale Merkmale des Grundeinkommens verstößt, eingeschlossen Universalität und Gemeinschaftseffekte.
Kurz gesagt, man sollte einen Ansatz mit gemischten Methoden verwenden, wie es auch in diesem Projekt der Fall war, mit nützlichen qualitativen Daten aus persönlichen Erfahrungen. Interessanterweise werden verschiedene „Ergebnisse” nicht erklärt, während manche im Widerspruch zu den Berichten von einzelnen Empfänger*innen stehen.
Dies verdeutlicht ein bezeichnendes Versäumnis der ganzen Übung – die anspruchsvolle statistische Analyse ist den quantitativen Daten vorausgegangen, wahrscheinlich weil zu wenig Zeit und personelle Ressourcen der Verfeinerung und dem Austesten der Feldforschungsinstrumente gewidmet worden sind, bevor das Experiment gestartet wurde.[5]
Viertens, und das ist ziemlich wichtig, war das, was in diesem Experiment getestet wurde, nicht einmal annähernd so etwas wie ein Grundeinkommen. Der Autor hat etwas Mitgefühl mit den Forschern, da er mit ihnen interagiert hat, als sie das Experiment konzipiert haben, das immer wieder verändert wurde, zum Teil aufgrund von administrativen Hindernissen.
Nach der Definition ist ein Grundeinkommen ein bescheidener Betrag, der regelmäßig an alle gewöhnlichen Einwohner gezahlt wird, und zwar individuell, ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Verhaltensauflagen, unabhängig vom Einkommen, Geschlecht, Familienstand oder Beschäftigungsstatus. Es wäre der gleiche Betrag für alle Erwachsenen und nicht entziehbar.
Das Problem mit dieser Studie ist, dass sie noch nicht einmal vorgibt, diese Definition zu respektieren. In der Tat machen verschiedene Begrenzungen die Ergebnisse beinahe irrelevant für die Einschätzung der Wirkung eines Grundeinkommens.
Als erstes war es tatsächlich eine bedürftigkeitsgeprüfte Leistung, die an 1.000 Personen verteilt über 19 Bezirke (zehn in Texas, neun in Illinois) gezahlt wurde, das heißt ungefähr 50 pro Bezirk oder wesentlich weniger als 1%, was kaum universell ist. Es wurde festgelegt, dass die Empfänger*innen zu Haushalten gehören mussten, deren gesamtes Haushaltseinkommen des Vorjahres weniger als 300% der nationalen Armutsgrenze betragen hatte. Das war weder universell noch zufällig.
Damit hing eine besondere Armutsfalle zusammen, die offenbar in der Analyse nicht mit bedacht wurde. Viele der Empfänger*innen wären berechtigt gewesen für bedürftigkeitsgeprüfte Transferleistungen. Wenn ein Haushaltseinkommen über eine gewisse Schwelle ansteigt, verliert der Haushalt diese Transferleistungen.[6] Wir werden auf diesen Punkt bei der Erwägung der Wirkung des Versuchs auf Beschäftigung und Arbeitsangebot zurückkommen.
Zweitens haben die Testpersonen sich zum größten Teil (87%) selbst ausgewählt. Das heißt haben sich freiwillig gemeldet. Man kann nicht annehmen, dass jene, welche sich freiwillig melden um „gratis Geld“ anzunehmen rein zufällig sind, also genauso wie jene, die so etwas nicht tun würden.
Drittens wurde es nur an Personen im Alter von 21 bis 40 Jahre gezahlt. Man kann legitimerweise nicht Ergebnisse für diese Altersgruppe für alle anderen Altersgruppen verallgemeinern. Diese junge Alterskohorte ist z.B. mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Lage zwischenzeitliche Verhaltensänderungen vorzunehmen.
Viertens wurde das Geld nur an eine Person pro Haushalt gezahlt, und überhaupt nur, wenn niemand im Haushalt Erwerbsunfähigkeitsleistungen bekam und sie nicht in öffentlich geförderten Wohnungen wohnten. Merkwürdigerweise wurden Menschen aus der Auswahl entfernt, wenn sie zuerst ausgewählt wurden, aber jemanden in der nächsten Umgebung kannten, der auch ausgewählt wurde.
Diese Vorgehensweise bedeutete, dass Empfänger*innen unterschiedliche Beträge erhielten, was im Gegensatz zu jedem Grundeinkommens-Modell steht. Zum Beispiel war es sehr wahrscheinlich, dass eine Person, die Mitglied eines Haushalts von vier Menschen war, die 1.000$ mit allen Haushaltsmitgliedern teilte, so dass jede/r im Mittel 250$ erhielt. Wenn die Person in einem Single-Haushalt lebte, bekam sie 1.000$. In der Folge vergleicht man in der Analyse nicht Gleiches mit Gleichem. Ohne zu wissen, wer mit wem teilte, kann man in der Tat nicht erraten, was irgendein/e Empfänger*in erhielt.
Fünftens wurden Minderheiten bewusst überrepräsentiert, vermutlich aus der Sorge heraus, dass andernfalls die Größe ihrer Stichproben nicht aussagefähig wäre. Aber Minderheiten zeigen möglicherweise nicht dasselbe Verhalten oder dieselben Reaktionen wie andere Gruppen. Zusammen genommen machen diese fünf Merkmale jeden Anspruch an Zufälligkeit, Bedingungslosigkeit und Universalität zunichte. Wenngleich es nützlich und interessant war, war das Projekt kein Test eines Grundeinkommens.
Übrigens gibt es einen anderen Faktor, der kaum mit bedacht wurde. Das Experiment begann auf dem Höhepunkt von COVID, in einem Monat als vier Millionen von Fällen in den Vereinigten Staaten verzeichnet wurden. Unter diesen Umständen wäre es sicherlich ein Wunder, wenn ein Geldtransfer nur zu einem Rückgang der bezahlten Arbeitszeit um etwas mehr als eine Stunde pro Woche führen würde. Genau das wird behauptet. Aber wie unten gezeigt werden wird, dies ist wofür sich Kritiker wie Giles schämen sollten.
Die Definition des Grundeinkommens wurde also nicht angewandt und das Design des Experiments ist solcherart, dass es die Wirkung eines Grundeinkommens nicht einschätzen kann. Betrachten wir nun einige der behaupteten Ergebnisse.[7]
Auswirkungen auf Beschäftigung und „Arbeit“
Giles und andere Kritiker, die das Grundeinkommen angreifen wollen, haben die Studie so interpretiert, dass das Grundeinkommen Beschäftigung und Arbeit reduziert. Giles behauptet: „Die Zeit der Arbeit ging sowohl für die Empfänger*innen der 1.000$ als auch ihre Partner zurück.” In einem anderen Bericht heißt es, es „reduzierte Beschäftigungsrate und Arbeitsstunden leicht“.[8] Im Lichte solcher Äußerungen sollte eines klar sein: Die Beschäftigung nahm für Empfänger*innen der bedingungslosen Geldtransfers zu. Man würde es nicht meinen, wenn man Giles‘ Hetzrede liest. Zunahme ist nicht dasselbe wie Abnahme.
Das Rätsel beginnt mit dem Fakt, dass die Kontrollgruppe am Anfang des Experiments eine höhere Beschäftigung zu verzeichnen hatte als die Empfänger*innen-Gruppe, was übrigens auch etwas sagt über die merkwürdige Behauptung der Randomisierung. Im Verlauf der drei Jahre des Experiments stieg die Beschäftigungsquote beider Gruppen, so dass am Ende ein kleiner Unterschied zwischen den beiden bestand.
Ein zweiter Faktor ist, dass Unterschiede nur für die jüngere Altersgruppe, jener zwischen 21 und 30 Jahren, beobachtet wurden. Es gab keine signifikanten Unterschiede für die über 30-jährigen und für kinderlose Erwachsene beider Altersgruppen. Wie der Bericht sehr deutlich sagt: „für Empfänger*innen, die bei der Ersterfassung keine alleinerziehenden Eltern waren, finden wir keine statistisch signifikanten Effekte auf die Beschäftigung oder die Arbeitsstunden.“
Es ist bedauerlich, dass die Studie die sexistische Auffassung von „Arbeit“ benutzt und damit alle Arbeit der Fürsorge für Kinder oder kranke oder ältere Angehörige als Nicht-Arbeit wegdefiniert. Aber das ist kein Trost für die Kritiker. Laut Giles zeigt die Studie, dass die Beschäftigung der Empfänger*innen abnahm. Sie nahm erheblich zu. Zunahme ist nicht gleich Abnahme.
Es sei am Rande noch erwähnt, dass in etwa in derselben Zeit, als der NBER-Bericht veröffentlich wurde, es Berichte von zwei anderen Experimenten gab, die in dem Bericht auch erwähnt wurden, jedoch nicht von Giles. Eines war geringfügig größer als das Open Research-Experiment was die Anzahl der Empfänger*innen angeht.[9] Beide fanden keine negativen Effekte auf Beschäftigung oder die Zahl der „Arbeitsstunden“. Was die Abwägung der Wirkung auf die Beschäftigung angeht gibt es eine interessante Korrelation aus der statistischen Analyse, welche der Bericht wie folgt darstellt: „Bedingungslose Geldtransfers zu empfangen machte es wahrscheinlicher, dass Empfänger*innen einen Job suchten und sich für einen Job bewarben.“[10]
Das lässt vermuten, dass bedingungslose Geldtransfers das Arbeitsangebot von jenen am Rande des Arbeitsmarktes nicht vermindern. In der Tat kann es so interpretiert werden, dass sich hier zeigt, dass die Geldleistung ihnen ermöglicht hat, nach einem passenderen Job zu suchen und sich die Effizienz des Arbeitsmarktes folglich erhöht hat.
An einem weiteren Punkt lohnt es sich zu spekulieren. Die Gesamtanalyse behauptet, dass am Ende des Projekts die Geldempfänger*innen 1,3 Stunden weniger „gearbeitet“ (sic) haben als der Durchschnitt in der Kontrollgruppe. Das ergibt ungefähr 12 Minuten am Tag. Das muss in etwa die Zeit sein, die Empfänger*innen brauchten, um die 24-Stunden-Zeitverwendungsprotokolle mit den wöchentlichen Daten für die Forscher*innen auszufüllen.[11] Arbeit hat viele Gesichter.
Bildung
Das führt zu dem Schlüsselergebnis. Während wir bei durchschnittlichen Geldempfänger*innen in ihren 20ern beobachten, dass sie verglichen mit Kontrollteilnehmer*innen dazu neigten weniger Lohnarbeit zu verrichten und 1,8 Stunden weniger in der Woche zu „arbeiten“, schlossen die Forscher: „Wir beobachten auch größere Effekte auf die formale Bildung unter jenen in dieser Altersgruppe, die nahelegen, dass jüngere Erwachsene dazu neigen das Geld für die Einschreibung in tertiäre Bildung zu nutzen und während der Schulzeit weniger Stunden zu arbeiten (sic).“
Empfänger*innen waren im letzten Jahr des Versuchs zu 14% eher in Ausbildung oder Jobtraining als der durchschnittliche Kontrollteilnehmer*in und „der Effekt war am größten unter den Empfänger*innen, welche bei der Ersterfassung das geringste Haushaltseinkommen hatten“. Es war zu 34% wahrscheinlicher, dass sie sich in allgemeiner oder beruflicher Bildung befanden als die Kontrollgruppe.
Sicherlich ist das ein starker positiver Effekt. An sich jedoch unterschätzt es noch die vermutliche Wirkung. Vorhergehende Studien – übrigens groß angelegt, hochwertig und langfristig – haben gezeigt, dass Geldtransfers zur Reduzierung der Erwerbsbeteiligung von jungen Menschen führen können, indem sie Schulabbrüche verringern und zu mancher Rückkehr in Vollzeit-Ausbildung führen. Aber gerade weil sie mehr Schule und Jobtraining erhalten, ergibt sich in den vielen folgenden Jahren eine viel höhere Erwerbsbeteiligung, die den kurzzeitigen Rückgang des Arbeitsangebots in den Schatten stellt und nahezu mit Sicherheit die Produktivität dieser Leute ebenfalls erhöht.
Viele andere Pilotprojekte und Versuche, die näher an einem Test eines Grundeinkommens waren, haben ergeben, dass einer der größten Effekte darin besteht, dass die Kinder der Empfänger*innen des Grundeinkommens oder anderer Geldtransfers eher/häufiger die Schule besuchen und dort besser abschneiden. Dies war eines der hervorstechenden Ergebnisse des wohl längsten Pilotprojekts, welches ich des „zufällige Pilotprojekt“ nannte und welches über fast zwei Dekaden in North Carolina durchgeführt wurde. Es zeigte, dass nach sechzehn Jahren Kinder in Familien, die die Geldtransfers erhielten, im Durchschnitt ein Jahr Leistungsvorsprung hatten.[12] Dieses jüngste Experiment kann unmöglich auch nur annähernd solche langfristigen Ergebnisse testen.
Unternehmertum
Ein anderer interessanter Aspekt der Studie ist die offenbare Auswirkung auf die Bemühungen der Empfänger*innen, ein Unternehmen zu gründen oder sich selbstständig zu machen. Wie gehabt ist Giles kategorisch: „Was sich höchstens sagen lässt, ist dass die Empfänger*innen einen Teil ihrer zusätzlichen Freizeit darauf verwendeten über die Gründung eines Unternehmens nachzudenken, ohne es tatsächlich zu tun.“
Er fügte, um das Maß vollzumachen, hinzu, dass die Resultate wesentlich schlechter waren als eine Gruppe von Experten vorhergesagt hatte. Tatsächlich waren die Ergebnisse differenzierter. Sie zeigen, dass die Empfänger*innen eher bereit waren, finanzielle Risiken einzugehen, und eher die Absicht bekundeten, ein Unternehmen zu gründen. Zusätzlich ist es klar, dass Schwarze oder weibliche Empfänger*innen wesentlich eher als jene in der Kontrollgruppe tatsächlich gegründet haben. Die Forscher stellen fest:
„Im dritten Jahr des Programms ist bei Schwarzen Empfänger*innen die Anzahl derjenigen, die angaben, jemals ein Unternehmen zu gründen oder dabei zu helfen um 9 Prozentpunkte gestiegen – eine 26%ige Zunahme gegenüber dem Durchschnitt der Schwarzen Kontrollteilnehmer*innen…bei den Frauen ist es eine Zunahme um 5 Prozentpunkte – eine 15%ige Zunahme gegenüber der durchschnittlichen Kontrollteilnehmerin.“[13]
Ich bin sicher, Chris Giles hat diesen Teil einfach übersehen. Das passiert. Die Untersuchung zeigte auch, dass sogar im ersten Jahr Empfänger*innen mit höherer Wahrscheinlichkeit Material gekauft haben mit dem Ziel ein Unternehmen zu gründen. All das bildet die Resultate nach, die wir in unserem groß angelegten indischen Grundeinkommens-Pilotprojekt hatten. Aber im Gegensatz zu dem, was Giles behauptet, gab es unternehmerische Aktivitäten.
Einkommen
Fokussieren wir nun auf einen der am meisten begrenzenden Aspekt des Experiments als Test eines Grundeinkommens, die Wirkung auf das Einkommen selbst. Zuerst einmal ist eine der bewährten Behauptungen der Grundeinkommens-Befürworter in den letzten Jahren, dass durch die Versorgung jedes Menschen im Gemeinwesen mit einem gleichen Grundeinkommen das gesamte und das durchschnittliche Einkommen stärker steigt als der Geldwert des Grundeinkommens selbst. Es gibt einen Multiplikator-Effekt. Wie an anderer Stelle zusammengefasst haben einige Geldtransfer-Programme in anderen Ländern dazu geführt, dass für jede 100$ zusätzliche 200$ hervorgebracht wurden.[14]
Zweitens modelliert das Experiment keine Veränderung im Steuer- und Sozialsystem. Durch die Auswahl hatten viele Empfänger*innen bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen empfangen. Das Empfangen von 1.000$ per Monat muss manche von ihnen über die Einkommensschwelle gehoben haben, so dass sie ihre Ansprüche verloren. Dies ist eine klassische Armutsfalle. Es bedeutet, dass es sich lohnt, das Arbeitsangebot und die Zahl der Arbeitsstunden zu reduzieren. Dadurch kann man mit Fug und Recht nicht jeden Rückgang des Arbeitsangebotes dem Grundeinkommen anlasten.
Zusätzlich gibt es was ich Prekaritätsfalle nenne.[15] Wenn jemand eine bedürftigkeitsgeprüfte Transferleistung verliert, so bräuchte es einige Zeit um ihre Wiederaufnahme zu beantragen, was eine*n davon abbringt, ihren Verlust überhaupt zu riskieren. Das ist ein Hauptgrund für Leute, die bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen empfangen, kurzzeitige Gelegenheitsjobs nicht anzunehmen. Das ist die Schuld von Bedürftigkeitsprüfung und komplexen bürokratischen Prozessen, nicht der Geldleistung.
Gesundheit
Die Studie fokussierte auf die mögliche positive Wirkung auf die Gesundheit. Hier ist Chris Giles wieder kategorisch und fragt rhetorisch: „Machte universelle Unterstützung Empfänger*innen gesünder als die Kontrollgruppe? Wiederum ist die Antwort: nein. Untersuchungen und Bluttests der Empfänger*innen und der Kontrollgruppe zeigen keine Verbesserung der körperlichen Gesundheit, während die psychische Gesundheit sich nur im ersten Jahr verbesserte. Es gab mehr Besuche medizinischer Einrichtungen und es wurde mehr Alkohol konsumiert, allerdings gab es weniger problematisches Drinken.“
Diesen Absatz ungehobelt zu nennen, wäre untertrieben. Zuerst einmal gab es keine universelle Unterstützung oder etwas in der Art. Universell bedeutet alle. Die kleine Gruppe von jungen Empfänger*innen war eine winzige Minderheit in ihren Gemeinden und schloss jene mit ernsten Krankheiten oder Behinderungen aus, die Erwerbsunfähigkeitsleistungen bezogen. Dass Giles das „universell“ nennt, ist unredlich. Zweitens ist eine Verbesserung der psychischen Gesundheit sicherlich eine Verbesserung der Gesundheit. Ein einfacher Grund dafür, dass die psychische Gesundheit im zweiten und dritten Jahr nicht mehr zunahm, war, dass sie bereits zugenommen hatte. Vielleicht ging es ihnen nicht besser als besser!
Wie sieht es mit den tatsächlichen Ergebnissen aus? Wir erinnern uns, es ging um eine ganz bestimmte Gruppe im Alter zwischen 21 und 40. Das erste Ergebnis war, dass Empfänger*innen öfter Zahnärzte und Ärzte aufsuchten. Mithin kann man sagen, dass sie mehr Präventivmaßnahmen ergriffen, was angeraten ist für langfristige Gesundheit, wie jeder medizinische Experte uns sagen würde. Zweitens fand die Studie heraus, dass Empfänger (Männer) zu 41% weniger unter dem Einfluss von gefährlichen Substanzen standen, zu 45% weniger exzessiv Alkohol tranken und beinahe unglaubliche zu 81% weniger wahrscheinlich Schmerzmittel ohne Verschreibung konsumierten. Jeder der meint, diese Resultate würden keine Verbesserung der Gesundheit anzeigen, ist entweder bar jedes medizinischen Wissens oder voreingenommen.
Was wir wissen, ist, dass die Vereinigen Staaten von einer echten Pandemie von Substanzmissbrauch betroffen sind, welche zu dem gut dokumentierten Phänomen der Tode aus Verzweiflung beiträgt. Wenn die Leute dazu gebracht werden, weniger Drogen zu nehmen, ist dies sicherlich ein Indikator für die Verbesserung der langfristigen Gesundheit.
Abschließende Überlegungen
Pilotprojekte und Experimente, die keine richtigen Pilotprojekte sind, können wertvoll sein. Das hier diskutierte, welches Scott Santens großmütig „Sam Altmans Grundeinkommens-Experiment“ nennt, ist keineswegs ideal, aber dennoch wertvoll, durchgeführt von ernsthaften Akademikern, die sich in statistischen Techniken gut auskennen. Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass ein Pilotprojekt besser geeignet ist herauszuarbeiten, wie und warum eine Intervention wirkt oder nicht wirkt, als herauszufinden, ob es richtig ist es zu tun.[16] Sein Nutzen hängt auch entscheidend ab von der Art und der Qualität der gesammelten Daten. Leider müssen wir vermuten, dass die meisten mit Konzept und Analyse befassten Forscher*innen nicht über umfassende Kenntnisse über das Grundeinkommen oder die vielfältigen Ergebnisse und Hypothesen verfügen, welche sich aus den vielen Pilotprojekten und Versuchen ergaben, die vor ihrem durchgeführt worden waren.
Jedoch gibt es einen grundlegenden Punkt, der der wichtigste von allen ist. Die meisten Streiter*innen für das Grundeinkommen gründen ihren Einsatz auf eine ethische oder philosophische Basis. Zu einem Grundeinkommen für jede*n Einwohner-Bürgerin zu kommen ist eine Frage von allgemeiner Gerechtigkeit, Freiheit und grundlegender Sicherheit. Wie Ökonomen gezeigt haben und im Widerspruch zu den Überschlags-Berechnungen von voreingenommenen Kritikern wie Chris Giles, ist es finanzierbar ohne Einkommens- oder Konsumsteuern anzuheben.[17]
Und Meinungsumfragen zeigen, dass es nun in vielen Ländern von Mehrheiten unterstützt wird. Es wird klarer, dass es auch ein ökologischer und politischer Imperativ ist. Aber solche Fragen sind für eine andere Gelegenheit. Das Open Research-Projekt ist interessant und provokativ. Aber es ist kein Test für den Wert eines Grundeinkommens.
(Übersetzung aus dem Englischen: EM, 15.8.24, zuletzt korrigiert 17.8.24 – Das Original findet sich hier)
1 C.Giles, ‘Universal basic income: the bad idea that never quite dies’, The Financial Times, July 26, 2024.
2 S.Davala, R.Jhabvala, S.K.Mehta and G.Standing, Basic Income: A Transformative Policy for India (London and New Delhi, Bloomsbury, 2015).
3 A. Deaton, ‘Instruments of development: Randomization in the tropics, and the search for the elusive keys to economic development’, The Keynes Lecture, British Academy, 9 October 2008; J.J. Heckman and J.A. Smith, ‘Assessing the case for social experiment’, Journal of Economic Perspectives, 9(2), 1995, pp. 85–115.
4 M. Ravallion, ‘Should the randomistas (continue) to rule?’, Working Paper No.27554, National Bureau of Economic Research, July 2020; also A. Deaton, ‘Randomization in the tropics revisited: A theme and eleven variations’, in F. Bédécarrats, I. Guérin and F. Roubaud (eds), Randomized Control Trials in the Field of Development: A Critical Perspective (Oxford University Press, 2020).
5 Für eine Besprechung dessen, was es braucht für ein rechtmäßiges Grundeinkommen, basierend auf zwei Jahrzehnten angewandter Praxis, siehe G.Standing, ‘Basic income pilots: Uses, limitations and design principles’, Basic Income Studies,
6 Die Forscher stellen fest, dass „weitreichende Anstrengungen unternommen wurden um die Berechtigung zu Sozialtransferprogrammen zu schützen“, geben aber zu, dass in Texas bedeutende Berechtigungen nicht geschützt worden waren. E.Vivalt et al, The Employment Effects of a Guaranteed Income: Experimental Evidence from two US States (Cambridge, Mass., NBER, Working Paper 32719, July 2024), p.7.
7 Während ich an dieser Kritik arbeitete, hat mein Kollege Scott Santens dasselbe getan und eine hervorragende Einschätzung mit Gesichtspunkten erstellt, die hier auch dargestellt wurden. SieheS.Santens, Did Sam Altman’s basic income experiment succeed or fail? (UBI Guide, 2 August, 2024). https://www.scottsantens.com/did-sam-altman-basic-income-experiment-succeed-or-fail-ubi/
8 M.Gort, ‘If you offer people universal basic income, they work less but have more choice, study finds’, Workplace Insight.net, 23 July 2024.
9 J.Liebman et al, The Chelsea Easts program: Experimental impacts’ (Boston, Rappaport Institute for Greater Boston Working Paper, 2022); M.Sauval et al, ‘Unconditional cash transfers and maternal employment: Evidence from the Baby’s First Years study’, Journal of Public Economics, 236, 2024.
10 Vivalt et al, 2024, op.cit., p.18.
11 Der Beschäftigungsbericht erwähnt „durch eine Mobiltelefon-App gelieferte 24-Stunden-Zeitverwendungsprotokolle“. Die Technik ist an sich zweifelhaft, wie ich an anderer Stelle erörtert habe. Es gibt eine Tendenz, normale Aktivitäten und solche, die respektabel sind, aufzuzeichnen. Solche Zeitverwendungsinstrumente finden selten – wenn überhaupt – jemanden, der eine Affäre hat oder einer Aktivität nachgeht, die als illegal erachtet wird.
12 Standing, 2017, op.cit., pp.258-59.
13 Open Research, Key Findings: Entrepreneurship (21 July, 2024).
https://www.openresearchlab.org/findings/entrepreneurship?
14 G.Standing, Basic Income: And how we can make it happen (London, Pelican, 2017).
15 Ibid, pp.77-78.
16 Dieses Argument wurde eindringlich von Angus Deaton in einer Kritik von Randomisierten Kontrollstudien und von Jim Heckman vorgebracht – beide Wirtschaftsnobelpreisträger. Deaton, 2008, op.cit.; Heckman and Smith, 1995, op.cit.
17 Der Autor schlägt vor, dass Schritte hin zu einem bedeutenden Grundeinkommen durch Ökosteuern und einen Gemeingüter-Kapitalfonds finanziert werden sollten. Für einen damit zusammenhängenden hervorragenden Vorschlag für das Vereinigte Königreich siehe S.Lansley and H.Reed, Universal Basic Income: An Idea whose time has come? (London, Compass, 2019). See also H.Reed et al, Universal Basic Income is affordable and feasible: evidence from UK economic microsimulation modelling (Bristol, Policy Press, 2023).