Warum über das Grundeinkommen das Volk abstimmen sollte
Christian J. Meier
Bald dürfen wir wieder unser Kreuzchen machen. Gut so. Ich habe noch keine Wahl ausgelassen. Selbst zur Bürgermeisterwahl in Groß-Umstadt bin ich letzen Sonntag gegangen, obwohl nur ein Kandidat antrat, man also nicht wirklich eine Wahl hatte. Doch ich will wenigstens das bisschen Partizipation, das man in einer repräsentativen Demokratie hat, ausschöpfen.
Viel Freude macht das indessen nicht mehr. Die Parteien, die es traditionell über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, bilden eine Art neoliberale Einheitspartei mit den immer gleichen Parolen aus dem letzten Jahrhundert: Sozial ist, was Arbeit schafft, Wohlstand durch Wachstum etc….
Diese Paradigmen werden mehr verwaltet als gestaltet. Es regiert das Weiter so! Der Status quo lässt sich nicht wirklich abwählen.
Das Gesellschaftsmodell der letzten 250 Jahre geht zu Ende
Was aber, wenn wenn dieses Weiter so in den Abgrund führt? Was, wenn Leute wie Richard David Precht recht haben, wenn sie sagen, dass mit der Digitalisierung ein 250 Jahre altes Gesellschaftsmodell zu Ende geht? Nämlich die bürgerliche Gesellschaft, wie wir sie kennen – ein Kind der Industriellen Revolution. Deren Credo die Arbeit ist, die Tüchtigkeit, die Leistung.
Vieles deutet darauf hin, dass die Digitalisierung tatsächlich an diesem Modell sägt. In ihrem Buch „The Second Machine Age“ schreiben die Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAffee, die Digitalisierung trage wesentlich zur sich immer weiter öffnenden Einkommensschere bei. Das trifft nicht nur auf das Silicon Valley zu, wo manche hart arbeitenden Menschen auf der Straße leben, weil sie sich Wohnen von ihrem Lohn nicht leisten können. Nein, auch auf Deutschland. Erst diese Woche kam heraus, dass das „Lohnproblem“ in Deutschland trotz guter Konjunktur weiter besteht. Die bürgerliche „Mitte“, die die etablierten Parteien so umwerben: Damit meint man die Rumpfgesellschaft, die sich von den Folgen der Digitalisierung bislang schützen konnte. Den Rest nennen wir „Unterschicht“, die zwar „hart arbeitet“, davon aber oft nicht leben kann. Ihre Mitglieder konkurrieren mit billigen Maschinen, sie malochen für digitale Ausbeuter wie amazon oder fristen ihr Dasein als pseudoselbständige „Clickworker“. Die Digitalisierung wird in absehbarer Zeit weitere Millionen ins Abseits schicken. Die vor 250 Jahren heilig gesprochene Erwerbsarbeit erfüllt ihren Zweck nicht mehr: Das Allgemeinwohl zu nähren.
Ein Instrument mit dieser Problematik umzugehen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Nicht das Allheilmittel, aber ein Mittel, das aus der Arbeitsgesellschaft eine Tätigkeitsgesellschaft machen würde. Es würde auch die Macht der Ausbeuter brechen, denn aus dem Menschenmaterial, das sie knechten können, würden unabhängige Bürger. Es würde helfen, den alten Menschheitstraum zu verwirklichen, der durch die Digitalisierung greifbar wird: Die Befreiung von der entfremdeten Arbeit.
Politiker mögen die Problematik und die Chancen, die in ihr stecken, kennen. Vielleicht halten sie das BGE sogar für eine so gute Idee, dass sie es in den Koalitionsvertrag schreiben, wie in Schleswig-Holstein geschehen. Doch sie werden den großen Wurf nicht wagen. Denn erstens sind Politiker „Pragmatiker“, die sich am „Machbaren“ orientieren. Konkret äußert sich das in ermüdendem Kleinklein. Sie wagen nicht die große, überblickende und somit weitsichtige Perspektive. Sie sind das denkbar ungeeignetste Personal, um einen der größten gesellschaftlichen Umbrüche in der Menschheitsgeschichte zu managen. Und zweitens verstehen Politiker den Begriff Grundeinkommen sehr unterschiedlich. Die FDP, in Schleswig-Holstein mit am Ruder, meint damit ein nicht-bedingungsloses und recht niedriges „Bürgergeld“, dessen erster Zweck es ist, den Arbeitsanreiz zu erhöhen. Man sieht daran: Die gute Idee wird schnell zwischen Parteiinteressen aufgerieben.
Eine Stimme für die Leidtragenden
Das BGE ist daher eine Sache des Volkes. Seine Pauschalität begünstigt niemanden, es ist von Natur aus keine Sache irgendwelcher Interessensgruppen. Es dient der Freiheit des Individuums, nicht der von Institutionen. Es würde den Einzelnen von seiner oft demütigenden Rolle als Wirtschaftsuntertan befreien. Dies wäre ein großartiges Ergebnis der digitalen Revolution.
Das BGE wird denn auch aus der Gesellschaft in die Debatte getragen, von Bürgerinitiativen, Kleinparteien, Ökonomen, Managern. Verständlich, denn der Bürger ist der Leidtrangende. Er erfährt, was Digitalisierung konkret bedeutet. Die großen Player der Tagespolitik, die Politiker und die Medien, reagieren nur. Tragen es im besten Fall zaghaft weiter, bremsen aber eher. Hätte das Volk in der Gesetzgebung ein Initiativrecht, über ein Volksbegehren, dann wäre wohl schon über das BGE abgestimmt worden, siehe Schweiz.
Zum Glück steht in unserer Verfassung, dass der Bürger nicht im Modus des leidenden Erduldens verharren muss. „Alle Macht geht vom Volk aus“ sagt der Artikel 20. Das Volk ist der Souverän, der Herrscher über sich selbst. „Die da oben“ sind es nicht. Volksabstimmungen würden diesem Prinzip zu mehr Wirksamkeit verhelfen.
Diese Ermächtigung des Bürgers würde sein Verantwortungsgefühl gegenüber Staat und Gesellschaft stärken. Denn er fühlt sich einer Gemeinschaft umso mehr verpflichtet, je mehr seine Meinung darin zählt. Gerade im Zusammenhang mit einem BGE wäre das wichtig, denn es würde die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern. Eine neue Tätigkeitsmoral, das Bestreben sich Sinn stiftend einzubringen, könnte dann die heutige Arbeitsmoral ersetzen. Ein von oben eingeführtes BGE könnten viele als gönnerhaft gewährtes Almosen oder als Stilllegungsprämie empfinden. Bei einem Grundeinkommen, das von der ganzen Bevölkerung beschlossen wird, besteht diese Gefahr weniger.
Auch über die Höhe des BGE bestimmt am besten das Volk. Experten können dies nicht leisten, da es eine objektive Höhe nicht gibt. Sie können allenfalls Empfehlungen geben, bzw Optionen vorschlagen.
Zu guter Letzt: Es gibt in einer Demokratie keine größere Legitimation als die durch den Souverän selbst. Beim BGE handelt es sich um eine sehr weitreichende Entscheidung, geradezu um eine kopernikanische Wende, was unsere Einstellung gegenüber der Arbeit betrifft. Eine solche Entscheidung ist für bloße Repräsentanten des Volkes zu groß.
uch über Änderungen des BGE sollte das Volk abstimmen. Denn nur so wäre die Integrität des Konzepts garantiert. Es würde sonst schnell durch das Lobbying der üblichen Interessensgruppen ausgehöhlt.
Lobbying für das BGE
Was heißt das nun für uns als BGE-Aktive?
Erstens, dass wir uns mit den Leuten zusammentun sollten, die sich für die direkte Demokratie in Deutschland einsetzen. Als wichtig halte ich es, gegen ein besonders unerträgliches Argument gegen Plebiszite anzugehen: Dass das Volk zu dumm sei. Diejenigen, die sich dieses Urteil anmaßen, sollten einen Blick ins Grundgesetz werfen. Und sie sollten ihre Einstellung gegenüber der Demokratie an sich prüfen: Wer das Volk für zu blöd hält, um über sein eigenes Schicksal zu bestimmen, der müsste konsequenterweise auch gegen Wahlen sein.
weitens sollten wir nicht in Passivität fallen, so lange es keine direkte Demokratie auf Bundesebene gibt. Es ist zu begrüßen, wenn die Koalition in Kiel ein BGE-Experiment in Schleswig-Holstein plant. Die Politiker, die in ihren jeweiligen Parteien für das BGE werben, sollten wir unterstützen. Solange es keine Volksentscheide gibt, muss es ein Volkslobbying geben. Bürger müssen sich dabei ähnlich organisieren wie es die Wirtschaft tut. Dass wir in einer neoliberalen Realtität leben, hat damit zu tun, dass die Wirtschaft politisch sehr viel aktiver ist und dabei viel systematischer vorgeht wie andere gesellschaftliche Gruppen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Politiker agieren am Volk vorbei, weil sie von „der schweigenden Mehrheit“ nicht erfahren, was diese eigentlich will. Sagen wir es Ihnen!