Glücklich durch Verzicht
Rezension des Buches „Befreiung vom Überfluss“ von Niko Paech
Christian J. Meier
Ganz wurde ich ein Gefühl des Beleidigtseins nicht los beim Lesen des Buches „Befreiung vom Überfluss“ des Oldenburger Ökonomen Niko Paech. Denn als Journalist übe ich nach Ansicht des Autors wohl eine lediglich, wie er es nennt, „symbolische“ Arbeit aus. Arbeit also, die sich von solideren Tätigkeiten wie einem Handwerk, durch eine gewisse, naja – Überflüssigkeit unterscheidet. Paech empört sich darüber, dass ausgerechnet jene, „die vorwiegend immaterielle Arbeit leisten, auf den höchsten materiellen Wohlstand zugreifen“. Lediglich die Phantasie begrenze die Kreation abstrakter Dienstleistungen wie Beratungen, Coaching, Weiterbildung, Versicherungen oder Moderation. „Praktisch substanzlos“ nennt Paech solche Jobs. Produkt einer Wachstumsgesellschaft, in der Wohlstand durch „Energieskalven“ (gemeint sind Maschinen, die die menschliche Leistungsfähigkeit steigern) und globalen Lieferketten erzeugt wird und kaum noch durch menschliche Arbeit vor Ort.
Paechs Erzählung ist aber inspirierend und spannend genug, um über diese Unsensibilität gegenüber den Leuten, die einen Großteil seiner Leser ausmachen dürften hinwegzusehen. Auch über den oft sperrigen und von Fachausdrücken nicht freien Text trägt einen die interessante Erzählung. Also verschlang ich die gut 150 Seiten an zwei Tagen.
Niko Paech meint es ernst damit, dass wir von „symbolischer“ Arbeit möglichst absehen und wieder lernen sollten, essentielle Arbeiten selbst zu machen: Dinge reparieren, um ihre Nutzungsdauer zu erhöhen, Gemüse anbauen für mehr Autarkie, und mit unseren Nachbarn zu kooperieren, um das Ökonomische und das Soziale wieder zusammenzuführen.
Kurz: Wir sollten uns weitgehend aus der Abhängigkeit von der Fremdversorgung befreien.
Genauer: Konsumenten sollen sich aus dem Netz der sie versorgenden Spezialisten und Energiesklaven lösen und zu Prosumenten werden (Prosument ist jemand, der nicht nur verbraucht, sondern auch selbst produziert). Darin liege ein Freiheitsgewinn. Denn, so Paech, „souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht“.
Für eine Wirtschaft, die viel weniger produziert, müssten die Menschen lediglich 20 Stunden pro Woche arbeiten, am besten für eine de-globalisierte, sprich regionale Ökonomie. Sie gewönnen so 20 Stunden Arbeitszeit für den „entkommerzialisierten Bereich“, also Dinge wie Reparieren, Nachbarn helfen usw.
Voraussetzung dafür wäre freilich der Abschied von der Wachstumsökonomie.
Auch auf ein Grundeinkommen geht der Autor in diesem Kontext kurz ein. Dieses sei für eine Übergangsphase zur Post-Wachstums-Ökonomie nötig. Die Bedingungslosigkeit lehnt Paech allerdings ab (ohne weitere Begründung). Das Bürgergeld oder Grundeinkommen müsse an gemeinnützige Tätigkeiten oder Bedürftigkeit geknüpft sein.
Die Wachstumsökonomie führe zu einer vielfältigen Entgrenzung der Bewohner von Industrieländern. Die leben, so Paech, gleich auf dreifache Weise über ihre Verhältnisse:
1. Sie eignen sich Dinge an, die in keinem Verhältnis zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen.
2. sie entgrenzen ihren Bedarf von ihren gegenwärtigen Möglichkeiten (Konsumieren auf Pump) und
3. von den regional vorhandenen Ressourcen.
Dass die Wachstumsökonomie unweigerlich in den Ruin des Planeten führen muss, ist für Paech klar. Denn die Entkopplung von Wachstum und Naturzerstörung durch technische Innovationen hält er für ein Märchen. Plakativ gesagt: Photovoltaikanlagen vermindern die Last für den Planeten nicht, wenn sie zusätzlich zum schon vorhandenen Energiesystem aufgebaut werden. Schließlich braucht es für ihre Herstellung Ressourcen und Energie. Der Aufbau einer neuen Energieversorgung müsse vielmehr durch den Rückbau der alten begleitet werden. Sonst komme es zu Rebound-Effekten und einer „Verschlimmerung der Umweltsituation“.
Paech lässt kein gutes Haar an der Hoffnung, Wachstum durch technischen Fortschritt nachhaltig zu gestalten.
Die Beweisführung dafür ist jedoch dünn. Paech greift sogar auf das eher esoterische Phänomen des Elektrosmog zurück, um zu argumentieren, dass drahtlose Kommunikation als Schlüsseltechnologie für eine Entkopplung von Wachstum und Umweltzerstörung nicht taugt.
Obwohl in diesem Punkt nicht überzeugend, schafft es Paech, den Verzicht auf liebgewonnenen Wohlstand schmackhaft zu machen. Das Werk regt zum Nachdenken über den eigenen konsumptiven Lebensstil an. Bin das noch ich, der diese CD oder diese Flugreise kauft? Oder werde ich in gezwungen, ein Stück Zahlvieh zu sein, ein Verbraucher, der mit seinem Geld eine Maschinerie am Leben hält, die den Planeten zerstört?
Niko Paech
Befreiung vom Überfluss
Oekom Verlag
ISBN-13: 978-3865811813
Preis: 14,95 Euro