Fokussierung auf und Fetischisierung von Lohnarbeit beenden
Eric Manneschmidt, 2. Juni 2024
Ich hatte 2013 in einem Artikel beim Netzwerk Grundeinkommen zweieinhalb oder drei Argumente für einen gesetzlichen Mindestlohn widerlegt: Er schafft weder Soziale Sicherheit, noch Soziale Gerechtigkeit, noch ist er die naheliegende Lösung, um eine sinnvolle, möglichst breite Verteilung der Kaufkraft in der Bevölkerung herzustellen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist in jeder Hinsicht überlegen.
In einem noch früheren Artikel hatte ich zudem den Ansatz der Piratenpartei kritisiert, den Mindestlohn als „Brückentechnologie zum BGE“ zu verkaufen. Der Mindestlohn hat weder theoretisch irgendetwas mit dem BGE zu tun, noch lässt sich irgendwo auf der Welt beobachten, dass sich aus ihm ein BGE entwickelt hätte. Das wäre in der Tat auch erstaunlich, verstärkt der Mindestlohn doch die Fixierung auf Erwerbsarbeit, genauer Lohnarbeit, der blinde Fleck der unbezahlten Arbeit (in Deutschland immer noch mehr als die bezahlte Arbeit) bleibt vollumfänglich bestehen.
Nun sind zwei weitere Argumente für gesetzliche Mindestlöhne aufgetaucht:
- Der Mindestlohn mache die Wirtschaft insgesamt produktiver bzw. leistungsfähiger (Marcel Fratzscher in der ZEIT)
- Der (armutsfeste) Mindestlohn verhindere, dass das BGE wie ein Kombilohn wirke und die Unternehmen von Kosten entlastet würden (Werner Rätz und Ronald Blaschke, u.a. hier, S. 17)
Zu 1.
Zuerst einmal ist die Frage: Wer oder was ist „die Wirtschaft“ und welchem Zweck dient sie? Sinnvoll wäre wohl anzunehmen, alles was Menschen tun um die Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen als „die Wirtschaft“ zu bezeichnen. Dazu zählt also zuerst einmal die unbezahlte (Sorge-)Arbeit, ohne die wir gar nicht erst ein erwerbsfähiges Alter erreichen würden. Neben der Lohnarbeit zählt aber auch die selbstständige Arbeit dazu. Ein (ggf. möglichst hoher) Mindestlohn bedeutet in der Praxis einfach nur ein Verbot von abhängiger Arbeit, die geringer entlohnt wird als eben der Mindestlohn. Wobei es natürlich (legale und illegale) Umgehungsmöglichkeiten gibt und vermutlich die gänzlich unbezahlte (sowie die gering vergütete ehrenamtliche) Arbeit weiter geleistet werden darf. Bestimmte Tätigkeiten werden aber, davon geht Fratzscher aus, nicht mehr geleistet – oder eben nur noch von Ehrenamtlern oder Selbstständigen. Das kann eigentlich nur dann gut für „die Wirtschaft“ sein, wenn wir davon ausgehen, dass zufällig alle diese Tätigkeiten NICHT zur Erfüllung von Bedürfnissen getan wurden, sondern aus irgendwelchen anderen Gründen. Aber welche wären das?
Fratzscher geht im Übrigen davon aus, dass sich einige Preise erhöhen, weil die Unternehmen die zusätzlichen Lohnkosten an die Verbraucher überwälzen. Das ist in der Tat plausibel. Er findet das ganz in Ordnung, weil die Leute durch den Mindestlohn ja auch mehr Geld in der Tasche hätten. Allerdings übersieht er dabei, dass eben nicht alle Menschen vom Mindestlohn profitieren, und zwar bleiben Selbstständige und Transfereinkommensbezieher auf den erhöhten Kosten für ihre Lebenshaltung sitzen. Es kommen noch die Durchsetzungskosten für den Mindestlohn hinzu (ich habe vor wenigen Tagen am Bahnhof ein Plakat mit einer feschen Zollbeamtin gesehen, auf dem stand: „Ich setze den Mindestlohn durch“), die alle Steuerzahler tragen müssen. Das heißt nichts anderes, als dass der Mindestlohn umverteilt von den Nicht-Lohnarbeitenden zu den Lohnarbeitenden. Das kann man zwar aus einer altlinken Ideologie heraus fordern, sinnvoll ist es aber nicht. Denn erstens dient Lohnarbeit nicht per se und immer dem Gemeinwohl und zweitens ist nicht jede gesellschaftlich notwendige oder nützliche Arbeit Lohnarbeit.
Und ein Niedriglohnsektor ist nur dann ein Problem, wenn Menschen gezwungen werden in ihm zu arbeiten um existieren zu können und wenn diese Menschen dadurch in die (Alter-)Armut rutschen. Das BGE verhindert beides.
Zu 2.
Die Frage ist, was ist das Problem mit einem Kombilohn und lässt sich das überhaupt verhindern? Der Witz beim BGE ist ja gerade, dass man beliebig hinzuverdienen, also das BGE mit Erwerbseinkommen kombinieren kann. Rätz und Blaschke wollen nicht, dass Unternehmen irgendwelche Vorteile durch das BGE haben. Sie gehen irgendwie davon aus, dass diese per se böse sind und man ihnen nichts schenken darf. Aber erstens sind ja nicht nur transnationale Großkonzerne, die die Umwelt zerstören und den Menschen irgendeinen Ramsch verkaufen, den diese eigentlich gar nicht brauchen, vom Mindestlohn betroffen, sondern auch die Biobäckerin um die Ecke oder das öko-soziale Start-Up, das noch keine großen Gewinne machen kann. Oder der Dorfladen, der eher aus Idealismus als aus Gewinnerwartung betrieben wird, ebenso wie zahlreiche NGOs, die neben unbezahlten Ehrenamtlern auch einen kleinen Stab von Hauptamtlichen haben. Was ist daran schlecht, wenn diese „Unternehmen“ es leichter haben, die Aufgaben zu bewältigen, die sie sich vorgenommen haben?
Zweitens profitieren Unternehmen sowieso von den Ausgaben der Allgemeinheit für Bildung, Rechtssystem, Infrastruktur. Wo ist das Problem? Das lässt sich auch gar nicht verhindern und es trifft hier wieder alle, die Erwerbsarbeit organisieren/nachfragen: Böse Großkonzerne und idealistische Start-Ups und NGOs. Andererseits leisten Unternehmen ja auch etwas für die Gesellschaft, indem sie Güter und Dienstleistungen erstellen, die im Idealfall der Befriedigung von realen Bedürfnissen der Menschen dienen. Dass dieser Idealfall nicht immer erreicht wird, steht auf einem anderen Blatt – aber der Mindestlohn ändert nichts daran, er trifft alle Lohnarbeitenden.
Im Übrigen müssen wir davon ausgehen, dass viele von den „bösen“ Unternehmen, jedenfalls wenn sie große Konzerne mit großer Markt- und Lobbymacht sind, mit dem Mindestlohn viel weniger Probleme haben (sie können die Kosten leicht auf die Preise umlegen oder/und sich zusätzliche Subventionen aus Steuergeldern besorgen und die zusätzliche Bürokratie können sie auch wegstecken) als die kleinen, die sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren.
Von „armutsfesten“ Mindestlöhnen zu reden wie Rätz und Blaschke es tun, ist offensichtlich völlig unsinnig: Das BGE verhindert bereits Armut, dafür ist es ja da.
Fazit: Wer für Mindestlöhne eintritt, bleibt dem Denken verhaftet, dass Unternehmen für die soziale bzw. finanzielle Absicherung der Menschen verantwortlich zu machen sind. Das ist Unfug, Unternehmen sollten sich darauf konzentrieren, die Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Außerdem wird ABHÄNGIGE BESCHÄFTIGUNG in VOLLZEIT weiter als Norm gestärkt. Davon jedoch müssen wir dringend wegkommen, u.a. aus ökologischen Gründen.
Auch führt die gefühlsmäßige Ablehnung von jedwedem Unternehmertum und die Sorge, dass die Unternehmer irgendwelche Vorteile erlangen können zu nichts – außer in den real existierenden Sozialismus, der bekanntlich nicht so arg gut funktioniert hat und mit dem ein BGE nicht zu machen war oder zu machen sein wird. Es braucht natürlich einen klaren Rahmen für wirtschaftliche – auch gewinnorientierte – Aktivität (der fehlt heute), aber ein Mindestlohn ergibt keinen Sinn. Vielmehr braucht es das BGE für alle (möglichst schnell weltweit und in gleicher Höhe pro Person), damit alle Menschen selbst entscheiden können, was und wieviel sie arbeiten und unter welchen Bedingungen.