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Ulli Nissen, MdB (SPD) und BGE

Ulli Nissen, MdB (SPD) und BGE

Am 23. Juni 2015 trafen drei Mitglieder unserer Initiativgruppe die SPD-Bundestagsabgeordnete für Frankfurt, Ulli Nissen, um mit ihr über das BGE zu sprechen. Eine dieser Personen schrieb ihr daraufhin einen Brief, der bis heute unbeantwortet blieb. Wir veröffentlichen heute seinen Wortlaut.

 

Sehr geehrte Frau Nissen,

ich bedanke mich nochmals dafür, dass Sie sich am vergangenen 23. Juni Zeit genommen haben, ein kleine Delegation unsere Initiativgruppe Bedingungsloses Grundeinkommen Frankfurt Rhein-Main zu empfangen und dass Sie sich bereit erklärt haben, ggf. in einer Podiumsdiskussion über das BGE mitzuwirken.

Ich möchte im folgenden darlegen, was ich – und ich betone ausdrücklich, dass ich nicht im Namen der Gruppe schreibe – von diesem Gespräch mitgenommen habe.

Sie sind eine entschiedene Gegnerin des BGE. Sie vertreten nämlich die Position, dass jeder erwachsene Mensch in unserer Gesellschaft eine Erwerbsarbeit
ausüben sollte, um auf diese Weise für seine materielle Existenz zu sorgen und
für sein Alter bzw. den Fall von Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Andere Formen von gesellschaftlich notwendiger Arbeit, (insbesondere Kindererziehung, Pflege bedürftiger Angehöriger, Hausarbeit, Beziehungsarbeit, Care-Arbeit), wenn nicht erwerbsförmig organisiert und über den Markt gegen Bezahlung ausgeübt, haben in Ihren Augen keinen oder nur wenig Wert, weil sie keine finanzielle Autonomie bieten. Politik sollte die Rahmenbedingungen schaffen, dass diese Tätigkeiten sich – wenn und weil unbezahlt – auf ein absolutes Minimum reduzieren lassen. Eltern sollten ihre Kinder möglichst ab Geburt fremdversorgen, kranke, alte und pflegebedürftige Angehörige fremdpflegen  lassen, um sich prioritär der – in ihren Augen einzig emanzipierenden – Erwerbsarbeit zu widmen.

Persönliche Autonomie – verstanden als die Fähigkeit, sich durch Erwerbsarbeit die finanziellen Mittel zu verschaffen, um sich die Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse gegen Bezahlung leisten zu können – ist für Sie der größte Wert. (Reiche Menschen genießen übrigens diese Form der Autonomie in jedem Fall, im Gegensatz zu armen Menschen, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht!). Inanspruchnahme von Solidarität gilt Ihnen als Zeichen von Schwäche und mangelndem Ehrgefühl. Wichtigster Grundsatz: Jeder für sich. Und möglichst keiner für die andern, jedenfalls nicht ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten.

Der Erhalt und die Schaffung von Erwerbsarbeitsplätzen ist folglich für Sie eine der höchsten politischen Prioritäten, denn nur wenn jemand seine Haut zu Markte trägt, hat er moralisch Anspruch auf ein Einkommen, eine Rente, Pflege im Alter. Dass die Gesellschaft Menschen, die ihre Haut nicht – oder in ungenügender Weise – zu Markte tragen, im Bedarfsfall Unterstützung gewährt, sollte  Bedingungen und Bedarfsprüfungen unterliegen. Denn moralisch haben sie keinen Anspruch darauf. Nur für Kinder ist es nicht unehrenhaft, wenn sie von anderen (z.B. ihren Eltern oder der Solidargemeinschaft) eine Existenzsicherung erhalten. Ob die geleistete Erwerbsarbeit umweltschädigend, gesundheitsschädigend, auf Zerstörung ausgerichtet ist oder der arbeitenden Person als entfremdend oder sinnlos erscheint, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass sie entlohnt wird.

Nur was Geld kostet ist etwas Wert. Daher sollen Obdachlose, Arme und sonstige Schwache, für die Sie „stark“ sind, auch für ihr Essen bei der Caritas bezahlen. Auch wenn sie sich dafür das Geld zusammenbetteln müssen. Oft, weil sie keine Erwerbsarbeit finden.

Sie finden es gerechtfertigt, dass Sie als Volksvertreterin 9,500 Euro im Monat bezahlt bekommen, weil Sie 80 Stunden in der Woche arbeiten und sich dabei  unter anderem für die Schaffung und Erhaltung von Erwerbsarbeitsplätzen einsetzen und dafür, dass Frauen erwerbstätig sind. Die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen rechtfertigt in Ihren Augen, dass immer mehr Waffen produziert und verkauft werden. Oder dass die Energiewende hinausgezögert wird, damit weiter Braunkohle abgebaut werden kann, auch wenn sich Menschen eine Staublunge holen und früher sterben. Denn sie werden ihre Existenz ehrenwert und autonom durch Lohnabhängigkeit erwirtschaftet haben.

Sie sind gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das allen Bürgern und Bürgerinnen ein existenzsicherndes Auskommen garantieren und sie befähigen würde, ihr Leben in Einklang mit ihrem Gewissen zu gestalten. Denn „wer kein Geld verdient, soll nicht essen!“. Bedingungslosigkeit ist für Sie nur akzeptabel als Attribut der Mutterliebe, zumindest bis die Kinder erwachsen werden. Dass Vollbeschäftigung unwiederbringlich der Vergangenheit angehört, scheinen Sie nicht zu glauben.

Sollte ich Sie missverstanden haben, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.

Freundlicher Gruß
Elfriede Harth

(Hinweis: Auf der Plattform Abgeordnetenwatch sind Ulli Nissen verschiedene Fragen zum Thema (Erwerbs-)Arbeit gestellt worden)

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