von Eric Manneschmidt, 17.6.23
Seit 2021 veranstaltet die Initiative ABSTIMMUNG21 „selbstorganisierte Volksabstimmungen“, es werden also Themenvorschläge gesammelt und in einem Kreis von angemeldeten Nutzer*innen zur Abstimmung gestellt. Die Teilnahme ist kostenlos und für alle möglich.
Grundsätzlich ist das eine super Initiative, um sowohl die Volksabstimmung (die wir ja auch für die Einführung und Regulierung des BGE fordern) als auch einzelne Themen verstärkt in das öffentliche Bewusstsein und die Diskussion zu bringen. Das Grundeinkommen war sogar bereits einmal Thema, nämlich in einer Pilotabstimmung 2020 – und wurde damals von knapp 60% der Abstimmenden „angenommen“, also befürwortet, siehe hier.
In diesem Jahr jedoch soll offenbar nur über einen Modellversuch und Bürgerrat zum BGE abgestimmt werden.
Die Vorgeschichte:
- 08.11.22: In der Emailkorrespondenz mit einem Mitarbeiter von ABSTIMMUNG21 schlägt dieser vor, dass ich einen Vorschlag zum BGE einreiche, was ich sofort zusage.
- 14.02.23: Das Online-Formular zur Eingabe von Themenvorschlägen bei ABSTIMMUNG21 wird freigeschaltet (keine Längenbegrenzung für Abstimmungsvorlagen).
- 21.02.23: Ich reiche nach gemeinsamen Beratungen meinen Vorschlag ein.
- 23.02.23: Eingangsbestätigung per Email
- 20.04.23: Email von der ABSTIMMUNG21 „vielen Dank noch einmal für Ihren eingereichten Themenvorschlag Bedingungsloses Grundeinkommen für Alle. Wir freuen uns Ihnen mitzuteilen, dass dieser in die Themenwahl am 01.05. – 30.06.2023 kommen kann.“
Es wird jetzt allerdings gefordert, der Vorschlag dürfe nur ca. eine DIN-A4-Seite lang sein.
Da ich keine Zeit und keine Nerven habe, übernimmt Robert Ulmer, alter BGE-Aktivist aus Berlin, an dieser Stelle und formuliert einen gekürzten Entwurf, der zwar inhaltlich bereits nicht mehr dem entspricht, was ich alles für wichtig halte, der aber noch akzeptabel für mich ist.
- 27.04.23: Ich schicke Roberts Vorschlag an die VOLKSABSTIMMUNG21 und er wird Initiator dieses Vorschlages.
In der Folge bekomme ich eine Bestätigung und erfahre, dass es noch einen anderen Vorschlag zum BGE gebe, man könne uns vernetzen und vielleicht einen gemeinsamen Vorschlag entwickeln. Zweimal schreibe ich, dass wir uns gerne vernetzen lassen, aber es passiert dann doch nichts.
- 14.06.23: Wir bekommen eine Email, worin uns ein massiv abweichender Vorschlag zum BGE angeboten wird unter unseren Namen zur Abstimmung zu stellen. Darin wird gar kein BGE mehr gefordert, sondern eben nur noch ein Modellprojekt und ein Bürgerrat zum BGE. In der Email heißt es:
„Es gab mehrere Einreichungen zu dem Thema mit ähnlicher Richtung. Da wir nicht mehrere Themenvorschläge, die sich zu stark ähneln, veröffentlichen, haben wir versucht, einen gemeinsamen Nenner zu formulieren. Dabei haben wir auch die Positionen der führenden zivilgesellschaftlichen Organisationen (https://expedition-grundeinkommen.de/, https://www.grundeinkommen.de/, https://www.mein-grundeinkommen.de/), die zu dem Thema arbeiten, mit berücksichtigt.“
Dazu ist zu ergänzen, dass prominente BGE-Befürworter Modellprojekte zum BGE kritisch sehen oder rundweg ablehnen, auf Anhieb fallen mir Richard David Precht, Philip Kovce und Sascha Liebermann ein.
- 15.06.23: Nach kurzer Beratung lehnt Robert Ulmer als Hauptinitiant es ab, den letztlich ja von ABSTIMMUNG21 formulierten Vorschlag unter seinem Namen zur Abstimmung zu stellen. Er schreibt:
„Nein, ich fordere definitiv keinen Modellversuch!
Ein Beispiel: Wenn meine Forderung die Abschaffung der Todesstrafe wäre, würde ich dies auch nicht erst als “Modellversuch” fordern.
Zweites Beispiel: Wenn ich das Wahlrecht für Frauen fordere, fordere ich auch nicht erst einen Modellversuch, in dem sich herausstellt, ob Frauen überhaupt wählen können ….
Sie schreiben: “Erste Schritte müssen nun endlich gegangen werden.” Diesem Satz kann ich sehr gern zustimmen! Aber diese ersten Schritte sollten sofort erfolgen (und nicht erst nach jahrelangem Modellversuch und Bürger:innenrat). Und sie sollten unmittelbar die Situation der schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen deutlich verbessern. Beispiele: den Regelsatz beim Bürgergeld erhöhen, die Sanktionsdrohung abschaffen.
Diese schrittweise Einführung ist in unserem Vorschlag enthalten (siehe auch Anhang):
“Dieses Grundeinkommen wird nicht in einem großen Wurf eingeführt, sondern in Schritten:
als Klimageld, als Kindergrundsicherung, Grundrente, als repressionsfreie Mindestsicherung.
Durch die schrittweise Einführung können Erfahrungen mit den Wirkungen des Grundeinkommens gemacht und berücksichtigt werden.”
Mit “Detailregelungen” haben wir unseren Vorschlag nicht überfrachtet. Aber die vier Haupteigenschaften (siehe die 4 Spiegelstriche am Anfang unseres Textes) sind essentiell und müssen genannt werden.(…)
Wenn Sie Ihren Text dahingehend ändern, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gefordert wird und nicht nur ein Modellversuch, dann sind wir wieder mit im Boot.“
- 16.06.23: ABSTIMMUNG21 schickt eine Rundmail an alle, in der auch auf den besagten Vorschlag mit der Forderung nach einem BGE-Modellversuch und Bürgerrat hingewiesen wird.
Fazit: Auch wenn ich verstehen kann, dass es organisatorisch gar nicht einfach ist, so ein Projekt wie ABSTIMMUNG21 auf die Reihe zu bekommen, so finde ich das Ergebnis jetzt doch enttäuschend – und das Verfahren entspricht nicht meiner Vorstellung von Demokratie. Faktisch haben die Macher*innen von ABSTIMMUNG21 entschieden, was da zur Abstimmung gestellt wird – nicht die Nutzer*innen. Ich werde mir sehr überlegen, ob ich da noch einmal mitmache.